: Sozialstaat arbeitet schlecht
GRUNDSICHERUNG Wer in Berlin Anspruch auf Sozialleistungen hat, sieht sich mit einem Organisationschaos in Jobcentern und Bezirksämtern konfrontiert
In Berlin gibt es erhebliche Defizite bei der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Das geht aus einem knapp 500 Seiten starken Evaluationsbericht über die Zusammenarbeit von Senatsverwaltungen, Bezirken, der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit und den Jobcentern hervor. Demnach scheitern die zuständigen Akteure daran, die Unterstützung von Erwerbslosen zu koordinieren.
In Auftrag gegeben hatte die Evaluation noch die bis 2011 amtierende Senatorin für Arbeit und Soziales, Carola Bluhm (Linke). Die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement hatte leitende Mitarbeiter der zuständigen Stellen befragt; seit August 2012 liegt dem Senat das Ergebnis vor. Um über daraus zu ziehenden Konsequenzen zu diskutieren, kamen am Mittwoch die zuständigen Bezirksstadträte, Vertreter von Jobcentern und Arbeitsagentur sowie die Staatssekretärin der Senatsverwaltung für Arbeit, Barbara Loth (SPD), zusammen.
Gefunden werden müssen Lösungen für den Mangel an Kommunikation der zuständigen Stellen, vor allem wenn es um die sogenannten sozialintegrativen Leistungen geht: psychosoziale Beratung, Sucht- und Schuldnerberatung, häusliche Pflege von Angehörigen sowie Betreuung minderjähriger oder behinderter Kinder. Hier fehlt bisher ein einheitliches Verfahren, um den Bedarf an solchen Leistungen zu identifizieren und entsprechende Angebote bereitzustellen. Kompliziert wird es dadurch nicht nur für Menschen, die etwa dringend eine Schuldnerberatung brauchen. Auch die Mitarbeiter in den Behörden sowie freie Träger, die die Beratung anbieten sollen, haben enorme Schwierigkeiten mit ihrer Planung. Das liegt mitunter daran, dass Jobcenter und Bezirksämter bisher kaum Daten über Menschen mit Anspruch auf sozialintegrative Leistungen erheben.
Die Probleme seien seit Jahren bekannt und würden auf Kosten der Erwerbslosen verschleppt, sagte die Sprecherin für Arbeitsmarktpolitik der Grünen-Fraktion, Sabine Bangert. „Wir sind gespannt, ob der Senat endlich die richtigen Maßnahmen für eine grundlegende Verbesserung ergreift, nachdem nun die Mängelliste schwarz auf weiß vorliegt.“
Katastrophale Folgen
Eine Senatsvorlage von Arbeitssenatorin Dilek Kolat (SPD), die dies leisten soll, befindet sich in der Abstimmung mit dem Finanz- und Sozialressort; der Inhalt ist bisher unbekannt. Der arbeitspolitische Sprecher der Piratenfraktion, Alexander Spies, sagte, Hartz IV sei von Haus aus ein unsoziales System. „Wenn es wie in Berlin auch noch ungenügend umgesetzt wird, sind die Folgen katastrophal.“
Auf einheitliche Grundsätze in den Jobcentern können sich Erwerbslose in Berlin jedenfalls nicht verlassen, gerade bei der Bewilligung der Leistungen für Lebensunterhalt und Wohnung: In der Stadt gebe es dabei „eine hohe Heterogenität in der Ausgestaltung in den einzelnen Jobcentern“, heißt es in dem Evaluationsbericht. Das bestätigt eine Teilnehmerin des wöchentlichen Erwerbslosenfrühstücks im Neuköllner Stadtteilladen Lunte am Mittwoch der taz: „Die Ansagen und Haltungen variieren ja nicht nur von Bezirk zu Bezirk, sondern auch noch von Sachbearbeiter zu Sachbearbeiter.“ Außerdem unterließen es einzelne Behörden oft, auf Angebote anderer Institutionen zu verweisen. „Deshalb vernetzen wir uns selbst und versuchen, uns gegenseitig zu unterstützen“, sagte die Frau. SEBASTIAN PUSCHNER