taz-serie fröhliche weihnachten (teil 5 und schluss): warum bei einstigen Hausbesetzern ausgerechnet das Lukas-Evangelium im Mittelpunkt steht
: Feiern mit allen, die gerade da sind – und mit eigenen Traditionen

„Die Kinder kannten die Geschichte des Lukas-Evangeliums einfach nicht mehr“

„21“, sagt Carola, hätten sich bereits angemeldet. „Meist kommen dann noch 6 dazu“, ergänzt ihre Tochter Frieda. Ein beschauliches Familienfest sieht anders aus. Zumal die meisten BewohnerInnen der Kastanienallee 77 Heiligabend wie üblich ausgeflogen sein werden – aufs Land, zu ihren Eltern oder wo man sonst so hinflüchtet an Weihnachten.

Die Lücken in dem Hausprojekt in Prenzlauer Berg werden schnell durch FreundInnen und Bekannte aufgefüllt. „Vor allem von Ausländern, für die eine Heimreise zu weit wäre“, sagt Carola. Oder die die Feiertage nutzen, um Freunde im fernen Berlin zu besuchen. Einmal war sogar der Olentzero zu Gast, ein schwarz gekleideter Weihnachtsmann aus dem Baskenland.

In dem einst besetzten Haus werden Traditionen gepflegt. „Erst mal sind alle gespannt auf das Krippenspiel“, sagt Carola. „Nein“, sagt ihre 10-jährige Tochter, „erst gibt es das Essen, dann die Geschenke und zum Schluss das Krippenspiel.“ Carola ist sich nicht mehr sicher. „Geh doch mal Papa fragen, der müsste es ja wissen.“ Papa Christoph hat schließlich damit angefangen.

Vor ein paar Jahren, als die Besetzerzeiten längst Vergangenheit waren und in dem sanierten Haus in Prenzlauer Berg immer mehr Kinder Weihnacht feiern wollten, hatte Christoph mal in die Bibel geguckt. „Die Kinder kannten die Geschichte einfach nicht mehr“, sagt Christoph. Deshalb habe er sie dann vorgelesen. Und weil bei Johannes, Markus und Matthäus wenig bis gar nichts von der Weihnachtsgeschichte zu finden ist, wählte Christoph den Text des Lukas-Evangeliums. „Ich wollte zeigen, dass die Geschenke nicht das Wichtigste sind, sondern dass da eine Geschichte hinter steht“, erklärt Christoph. „Und es hat den Effekt, dass es ein bisschen auflockert, als Stegreiftheater.“

Denn bei einer reinen Vorlesung ist es nicht geblieben. Schon beim ersten Mal schlüpfte ein Teil der Gäste spontan in die Rollen von Engel, Maria, Joseph und den himmlischen Heerscharen. Dabei ist es geblieben. „Jetzt ist es schon traditionell und wird eingefordert“, sagt Christoph. Seine Tochter Frieda hat Probleme mit dem Luther-Deutsch: „Ich hab die Geschichte, die Papa immer vorliest, noch nie verstanden.“

Aber Christoph geht es nicht ums Verstehen, eher um Anregung zum Nachdenken. Deshalb wird er auch an diesem Heiligabend lesen, wie es geschrieben steht: „Und der Engel sprach: ‚Fürchte dich nicht, Maria. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären.‘“ Und auch wenn die Maria wieder mal von einem Mann gespielt werden sollte, wird sie antworten: „Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Mann weiß?“

Auch die anderen Punkte des Abends sind schon traditionell. Den Weihnachtsbaum kauft Georg, wenn er denn da ist. Jedes Kind bekommt maximal zwei Geschenke, damit keine Missgunst aufkommt. Die Erwachsenen werden durch die Geschenkeverlosung beim Julklapp beglückt. Da kann es schon mal vorkommen, dass wesentlich mehr Präsente vorhanden sind als potenzielle Empfänger, etwa weil ein frisch verlassener Mann alle für seine Ex bereits gekauften Geschenke in den Jutesack wirft.

Und gegen Mitternacht gehen alle runter in den Laden zum Tanzen, wo es aber traditionell nur richtig gut wird, wenn Mattes die Musik auflegt. Und Mattes, das ist das größte Problem, ist dieses Jahr nicht da. Gereon Asmuth