Lauter glückliche Leute

Schokolade macht glücklich. Diese Menschen haben entdeckt, dass die Alltagsweisheit erweitert werden muss: Süßes macht glücklich. Sie gaben ihre alten Berufe auf und starteten ein neues Leben. Drei moderne Karrieren

Eine Stadtplanerin verkauft Marmelade

Zwischen all den Deckeln, Gläsern und Kistchen mit Holzwolle geht Ilona Hoffmann in ihrer Wohnung in Spandau fast unter. Die ehemalige Stadtplanerin lacht. „Ich habe letzte Woche 100 Marmeladenpräsente für eine Firma zusammengepackt, da war die Bude noch voller.“

Vor drei Jahren ist die 56-jährige Berlinerin arbeitslos geworden. „Eigentlich wollte ich weiter im Bereich Stadtplanung arbeiten. Aber das Arbeitsamt hat gesagt, für Leute in meinem Alter gebe es keine Fortbildungen mehr.“ Für Ilona Hoffmann stand damit fest, dass sie sich neu orientieren müsste.

„Für meine Familie und meine Freunde koche ich schon seit über 20 Jahren Marmelade. Ich habe immer das Obst aus meinem Schrebergarten hier in Spandau genommen.“ Und schon als sie noch als Stadtplanerin arbeitete, habe sie einmal „davon geträumt, einen Marmeladenladen aufzumachen“.

Jetzt ist der Traum Wirklichkeit geworden. Ilona Hoffmann hat sich im Sommer mit ihrer Marmelade selbständig gemacht. Sie nahm im März dieses Jahres erfolgreich an dem Existenzgründerinnen-Wettbewerb teil, das half auf dem Weg in die Selbständigkeit. Aber auch sonst war ihr keine Hürde zu hoch: Aus lebensmittelhygienischen Gründen darf sie nicht in der eigenen Küche kochen – sie fragte bei der Kita um die Ecke. Sie brauchte Holzkistchen für Geschenksets – sie fragte die Behindertenwerkstatt Spandau. Sie musste schnell 100 Päckchen zusammenstellen – sie organisierte eine Packparty mit Freundinnen.

Von Produktion bis Vertrieb organisiert Hoffmann in ihrem Einfraubetrieb alles selbst. Neben dem Herd liegt ein Geodreieck, mit dem sie ihre selbst designten Etiketten abmisst. Im Keller stapeln sich die Kartons, in denen sie ihre Marmelade verschickt. Und als das Telefon klingelt und eine Kundin aus der Nachbarschaft fragt, ob denn noch Apfelgelee vorrätig sei, verspricht Ilona Hoffmann, das Gewünschte vorbeizubringen. „Sogar ein Geschäft in Bonn verkauft meine Produkte“, erzählt sie. Den Großteil des Umsatzes erziele sie aber auf Märkten in Berlin und Umgebung.

Noch kann Ilona Hoffmann ihre Lebenshaltungskosten nicht mit dem Marmeladenverkauf decken. „Dafür müsste ich mindestens 1.500 Gläser monatlich produzieren.“ Im Januar will sie über neue Vertriebswege nachdenken. Sie plant, eine Aushilfskraft einzustellen, da sie langsam an ihre Grenzen stößt: „Ich stehe morgens um sieben auf und gehe nicht vor eins ins Bett.“

Längst sind es nicht mehr nur die Früchte aus dem eigenen Garten, die Hoffmann auf die Sackkarre packt, wenn sie in die Küche der benachbarten Kita zieht. Raffinierte Zusammenstellungen wie Spätburgunder-Gelee mit Kirschen und Espresso oder Ananasmarmelade mit rotem Pfeffer sind bei den Kunden besonders beliebt. Wie diese Kombinationen entstehen? „Das passiert einfach, wenn ich kreativ koche.“ Und was ihr selber schmeckt, kommt ins Sortiment.

„Als Stadtplanerin war ich immer das letzte Glied in der Kette. Jetzt kann ich mir meine Zeit selbst einrichten. Ich bin für alles verantwortlich, das genieße ich.“ HEIKE SCHMIDT

E-Mail: hoffmannji@aol.com

Ein Börsianer eröffnet Schokoladenläden

Die Börse macht krank, Schokolade glücklich. Das ist die geballte Lebenserfahrung von Jascha Kappelmeyer. Der 32-Jährige verkauft seit 2001 gemeinsam mit seiner brasilianischen Frau Marina Pereira Monteiro Süßes. Anfangs in Wilmersdorf. Inzwischen betreiben sie zwei Läden: einen in der Zossener Straße in Kreuzberg und einen im S-Bahnhof am Mexikoplatz. Beide heißen Doçura – das bedeutet Süßes.

Bevor er sich mit seiner Idee selbständig machte, arbeitete er bei der Internetfirma Netpictures. „Wir haben die schärfsten Aktien empfohlen, auch kanadische Internetfirmen. Die liefen eine Woche, dann ging nichts mehr“, erzählt Kappelmeyer. Er schrieb Aktienempfehlungen, hatte ein Festgehalt von monatlich 5.000 Mark. Dazu kamen satte Gewinne aus Aktiendeals. So war das um die Jahrtausendwende zu Hochzeiten der Börse.

In den Regalen des Kreuzberger Geschäfts liegen Schokoladen, Marzipan, Bonbons und Kuchen. Ein Teil sorgfältig arrangiert neben dem anderen. Rotgolden verpackte Bonbons aus Italien, blau eingewickelte Schokoladentrüffel aus Frankreich, rote Blechdosen mit schwedischem Pfefferkuchen. Ein Rausch aus Form, Farbe und Geschmack.

„Das alles hier kann ich nicht aus dem Katalog ordern“, sagt Kappelmeyer. „Ich muss bei jedem Lieferanten extra bestellen.“ Diese Mischung unterscheidet Doçura von Filialschokolatiers wie Hussel. Das Kaufmännische ist für den Schöneberger kein Problem. Er studierte Wirtschaftsrecht an der Fachhochschule für Wirtschaft und Technik in Karlshorst. Die Anonymität des Internetgeschäfts vermisst er nicht. „Heute sind die Menschen, die hierher kommen, dankbar, wenn ich sie berate.“

Sein Geld verdient Kappelmeyer nicht mehr per Knopfdruck am Computer. „Ich kaufte damals täglich SAP-Optionsscheine. Die hielt ich zwei Stunden und verkaufte sie wieder.“ Als es dann an der Börse nicht mehr so gut lief, kamen die Probleme. „Wie ein kleines Boot waren wir den Schwankungen der Aktienkurse ausgesetzt, wurden hin und her geworfen“, erinnert sich seine Frau Marina. Dann bekam Jascha Kappelmeyer „so komische Krankheiten“, Ausschläge an den Armen. Die Beziehung zu seiner Frau stand auf der Kippe. „Alles Alarmzeichen für mein Unglücklichsein.“

Es war klar, dass es so nicht weitergeht. Beide kündigten ihre Jobs. Reisten drei Monate durch Europa und Brasilien. Unterwegs schmiedeten sie Zukunftspläne. „Wir wollten gemeinsam etwas machen, unsere eigenen Herren sein.“ Sie wollten etwas verkaufen. „Ich bin ’ne Krämerseele“, sagt Kappelmeyer. Die Idee, sich auf Oldtimer oder brasilianisches Kunsthandwerk zu spezialisieren, zündete nicht. Aber das Süße war es dann. „Das ist sinnlich. Wir verkaufen etwas Schönes“, sagt Marina.

Obwohl er heute viel mehr arbeitet, ist er zufrieden. Es mache ihm auch nichts aus, mit weniger Geld auszukommen, sagt er. „Hauptsache, ich kann meine Miete zahlen und mir ab und zu was leisten.“ Und da ist ja auch noch seine 15 Monate alte Tochter Emilia. „Sie ist ausgeglichen. Das ist mir wichtig.“ Ein gutes Zeichen. ULRIKE HEIKE MÜLLER

Internet: www.docura-berlin.de

Ein Ex-Student zieht mit Süßem über Märkte

Osman Karamarti kam vor 25 Jahren von der Schwarzmeerküste nach Berlin, um Elektrotechnik zu studieren. So war der Plan. „Aber Pläne macht man im Leben viele.“ Bei ihm ist es ein bisschen anders gekommen, traurig wirkt er deswegen nicht.

Zusammen mit seiner Frau Hüsne steht er auf dem Hackeschen Markt und bietet Süßigkeiten feil: Honigmarzipan mit Datteln, mit kandierten Orangen oder mit Nüssen. Nugat mit Feigen oder Walnüssen. Ananas mit blanchierten Pistazien. Dazu Halva, Baklava und was das Mittelmeer seiner Frau sonst noch für Verlockungen diktiert, die sie kreieren kann. Derzeit hat sie 31 Kompositionen im Angebot. Die ganze Palette getrockneter und kandierter Früchte ist am Stand der beiden ebenfalls zu bekommen: Kiwis, Ingwer, Mangos, Papayas, Himbeeren, Berberitzen und was noch alles.

Wenn die Leute bei den Karamartis – schwarze Möwe bedeutet ihr Name – vorbeigehen, verlangsamen sie ihren Schritt. Ein bisschen ist es, als gerieten sie ins Stocken, weil etwas aus ihrer Kindheit sie rührt. „Ich habe beobachtet, dass die Leute friedlich wie Kinder werden, wenn sie Süßigkeiten essen“, sagt Karamarti. „Nein, ehrlich, ich hab das wirklich festgestellt.“ Er besteht darauf: Leute, die Süßes essen, seien glücklicher. „Ich meine, es müssen natürlich gute Sachen sein.“

Die Karamartis strahlen selbst was Glückliches aus. Sie necken sich, lachen miteinander, gehen einander zur Hand. Karamarti hat seine Frau vor 17 Jahren nach Berlin geholt. „Ich konnte kein Wort Deutsch“, sagt sie. Aber ihr Mann habe sie gleich zur Sprachschule geschickt. Ihm sei eine eigenständige Frau lieber als eine abhängige. Beim Über-die-Märkte-Ziehen kommt es beiden zugute. Denn meist haben sie zwei Standorte, wo sie ihre Sachen verkaufen. Dann steht er an einem der Stände und seine Frau am anderen. Einen Imbiss in Hermsdorf haben die Karamartis auch noch. Dort verkaufen sie keine süßen Sachen, sondern Salziges. Weil das Leben eben aus zwei Seiten bestehe.

Eigentlich ist Osman Karamarti einer, der gerne versöhnlich über das Leben spricht. Seine Weisheit zieht er aus dem Alltag. Dass er mal andere Pläne hatte, dass er beinahe mal politisch geworden wäre, das ist eine andere Sache. „Seit ich über die Märkte ziehe, ist meine philosophische Seite tot.“ Er kann jetzt nicht die Welt verbessern, seine Kinder und deren Probleme beschäftigen ihn mehr.

Dann allerdings kommt er doch ins Sinnieren, denn etwas ist ihm wichtig. Er mag es nicht, wenn die Menschen auseinander dividiert werden, wenn sie unterteilt werden in Türkisch oder Kurdisch oder Griechisch, wenn das Nationalistische wichtig wird. Er mag es nicht, wenn das Ökonomische fürs Nationalistische instrumentalisiert wird. Und er mag es nicht, wenn Leute Reichtümer anhäufen. Ein Auskommen sollen sie haben, ja, „aber das Totenhemd hat keine Taschen“. Das sei ein türkisches Sprichwort. „Ich bin dafür, die Menschen zusammenzubringen, damit sie friedlich miteinander leben.“ Dass die Süßigkeiten seiner Beobachtung nach ein bisschen dazu beitragen, das freue ihn schon sehr.

WALTRAUD SCHWAB

Internet: www.karamarti.de