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Archiv-Artikel

Nicht jeder kam durch

FLUCHT Das Museum im ehemaligen Lager zeigt anschaulich, dass der Eiserne Vorhang nie ganz dicht war. Anfangs wurden viele Flüchtlinge abgelehnt

Die Notaufnahme

■ Am 14. April 1953 eröffnete Bundespräsident Theodor Heuss das Notaufnahmelager. Am Sonntag, 60 Jahre danach, wird bei einem Festakt in Marienfelde wieder ein Bundespräsident sprechen: Joachim Gauck.

■ Neben Marienfelde gab es mehrere weitere Notaufnahmelager in Westdeutschland, etwa in Uelzen und Gießen. Welche Flüchtlinge sich an welches Lager wendeten, hing vor allem von der Lage ab, erklärt die Sprecherin der Erinnerungsstätte. Wer in der Nähe der innerdeutschen Grenze wohnte, reiste nicht extra über West-Berlin. (taz)

Weitere Infos unter www.notaufnahmelager-berlin.de

VON MARTIN RANK

Der Massentourismus hat Marienfelde bislang nicht erreicht. Dabei lohnt sich der Weg zum Stadtrand: Zwischen den beschaulichen Wohnhäusern verbirgt sich in einem schlichten 50-er-Jahre-Klotz mit vier Stockwerken das heutige Museum. Die Dauerausstellung „Flucht im geteilten Deutschland“ erzählt die Geschichte der undichten Stellen im Eisernen Vorhang – und zeigt anschaulich, dass die Grenze nie völlig undurchlässig war.

Vor 1961 kamen jedes Jahr Hunderttausende DDR-Flüchtlinge über Marienfelde in den Westen. Der Mauerbau verringerte den Flüchtlingsstrom deutlich. „In den 80ern war das, was hier passierte, nicht mehr im Rampenlicht der Öffentlichkeit“, sagt Harald Fiss, der von 1985 bis 1990 Leiter in Marienfelde war. Er startete damals ein Sanierungsprogramm. „Das Lager sollte noch Jahrzehnte fit sein für Flüchtlinge aus der DDR“, so Fiss. Doch 1989 kam mit dem Fall der Mauer der letzte große Ansturm. Damals stellten sich 2.000 Flüchtlinge bei Fiss an – täglich. Viele befürchteten, dass sich die Mauer wieder schließen würde.

Nach der Wiedervereinigung wollte Fiss verhindern, dass das Lager in Vergessenheit gerät, und gründete mit Flüchtlingen und Mitarbeitern einen Verein, der die Geschichte des Ortes aufarbeitet. Seit 2005 gibt es eine Dauerausstellung mit sieben Themenräumen. Einer zeigt das Notaufnahmeverfahren: Zwölf Türen stellen die Stationen dar, die die Flüchtlinge durchlaufen mussten. Hinter den Türen verbergen sich Exponate, Akten und Bilder.

Das Verfahren begann mit dem ärztlichen Dienst. An zweiter Stelle kamen die Alliierten, die über die Flüchtlinge die kommunistische Seite ausforschen wollten. Zum Schluss entschied der Notaufnahmeausschuss darüber, ob der Antrag anerkannt wurde und man schließlich einen neuen Wohnort zugewiesen bekam.

„Das Lager sollte noch Jahrzehnte fit sein für Flüchtlinge aus der DDR“

HARALD FISS, LAGERLEITER AB 1985

An dieser Tür erfahren die Museumsbesucher, dass nicht alle mit offenen Armen empfangen wurden: Sie mussten nachweisen, dass für sie in der DDR Gefahr für Leib und Leben besteht. Zwei antikommunistische Verbände, die in engem Kontakt zu den westlichen Alliierten standen, übten in den frühen 50ern Einfluss auf das Verfahren aus und beteiligten sich an der politischen Beurteilung – so eine Forschungsarbeit, die zum Jubiläum vorgestellt wurde. Die Verbände wollten eine stalinistische Unterwanderung des Westens unterbinden.

In den ersten Jahren wurde jeder zweite Antrag abgelehnt. Darum lebten laut Fiss im Jahr 1953 rund 150.000 DDR-Flüchtlinge in Dauerlagern in Westberlin und bekamen keine Arbeitserlaubnis. Erst später wies man ihnen einen neuen Wohnort zu. Das veränderte sich: In den folgenden Jahren wurden fast alle Anträge zugelassen.

Noch heute gibt es auf dem Gelände der Erinnerungsstätte Menschen, die auf die Zulassung ihres Asylantrags warten. 600 Flüchtlinge aus 20 Nationen sind hier derzeit untergebracht. Marienfelde ist also wieder ein Notaufnahmelager – nun für Flüchtlinge aus aller Welt.