Der Winter ist da, die Hilfswerke gehen

Die Hilfe im pakistanischen Erdbebengebiet gerät ins Stocken. Grund ist die mangelnde Bereitstellung zugesagter Gelder. Die einzelnen Hilfswerke stehen damit vor absurden Entscheidungen und sind teils gezwungen, ihren Einsatz zu begrenzen

AUS ISLAMABADNILS ROSEMANN

„Die fehlende Finanzierung behindert weiterhin die Hilfsmaßnahmen, und viele Organisationen werden aussteigen, wenn die Zusagen sich nicht bald realisieren.“ Diese nüchterne Bemerkung steht in dem letzten Bericht der Vereinten Nationen vom 16. Dezember zu der Lage in den pakistanischen Erdbebengebieten. Acht Wochen nach dem Blitzappell der UNO zur Finanzierung der Lebensrettung und der Überlebenshilfe für die Opfer des Bebens vom 8. Oktober haben internationale Organisationen lediglich 228,3 Millionen Dollar oder 41,4 Prozent der zugesagten Gelder erhalten.

Damit ist der Bedarf höher als die vorhandenen Summen. Die Hilfsorganisationen sind nun genau in der Situation, die sie durch den koordinierten Hilfsappell der UNO vom 26. Oktober vermeiden wollten. Jetzt müssen sie Prioritäten setzen, die manchmal absurd sind, etwa wenn sie zwischen Nahrungsmittelhilfe und medizinischer Versorgung abwägen oder ihren Einsatz auf einzelne Regionen beschränken müssen. Die britische regierungsunabhängige Organisation „Save the Children“ („Rettet die Kinder“) hat beispielsweise ihre Arbeit von fünf auf zwei Regionen reduziert. Von vormals 187.000 Begünstigten werden so nur noch etwa 13.500 Menschen versorgt. Auch die großen Organisationen sind betroffen. Die internationale Föderation des Roten Kreuzes und Roten Halbmonds hat nur 66,1 Prozent ihres Bedarfs von 98 Millionen Euro erhalten. Dieser Betrag wird benötigt, um sechs Monate für 81.000 Familien beziehungsweise 570.000 Menschen Lebensmittel, Unterkünfte und medizinische Grundversorgung bereitzustellen. Ein weiteres Indiz für die reduzierte Hilfe ist die geringere Inanspruchnahme von Hubschraubern zum Transport der Hilfsgüter, obwohl die regelmäßigen Nachbeben Straßen unpassierbar machen.

In der pakistanischen Hauptstadt Islamabad erkennt man, dass gutes Zureden und immer neue Schreckenszahlen nicht zu der notwendigen Hilfe führen. Vor zehn Tagen stellte der Repräsentant der Vereinten Nationen in Islamabad und Koordinator der Hilfe, Jan Vandermoortele, die neue Schreckensbilanz vor: 2.500 Familien in Regionen oberhalb von 1.500 Metern haben bis jetzt keine Materialien zum Bau behelfsmäßiger Winterunterkünfte erhalten. 75 Prozent der 1,9 Millionen Menschen, die unterhalb von 1.500 Metern in den Bergen ausharren, verfügen über keine winterfesten Behausungen. Zwei Drittel dieser Erdbebenopfer leben in gespendeten Zelten, die zu 90 Prozent nicht winterfest sind. Um diesen Menschen Schutz vor der kalten Witterung bieten zu können, werden 2,4 Millionen Decken, 1,2 Millionen Steppdecken, 170.000 Plastikplanen und weitere 200.000 Zeltplanen zur Bodenisolierung benötigt. Die für die monatliche Versorgung der Erdbebenopfer notwendigen 50 bis 60 Millionen Dollar sind nicht vorhanden.

Während für die Soforthilfe das Geld fehlt, stehen für den Wiederaufbau Zusagen in Höhe von 6,3 Milliarden Dollar zur Verfügung. Von den Hilfswerken wird jedoch befürchtet, dass sich nach dem Winter der Wiederaufbau in den Bergen nicht mehr lohnt – sei es, weil die Menschen in die Täler gezogen sind, sei es, weil sie erfroren sind. Ohnehin wird bezweifelt, dass die Wiederaufbaumilliarden die Situation der Erdbebenopfer verbessern. Seit vier Wochen streitet sich die vom pakistanischen Präsidenten General Pervez Musharraf eingesetzte Regierung mit der Opposition über die Möglichkeit einer parlamentarischen Kontrolle der beiden von Generälen geführten Hilfs- und Wiederaufbaukommissionen, um Korruption vorzubeugen.

Skepsis herrscht auch angesichts der Ernennung des ehemaligen US-Präsidenten George Bush zum UN-Gesandten und Repräsentanten für die Hilfe in der Erdbebenregion. Bush senior soll für die „Materialisierung der Wiederaufbauhilfe“ zuständig sein, so Generalsekretär Kofi Annan am 15. Dezember. In Bushs Amtszeit fiel der Aufbau der Taliban durch Mitwirkung des pakistanischen Geheimdienstes und der CIA. Die unter Bush damals freizügig gewährte Entwicklungshilfe fand sich später auf den Auslandskonten pakistanischer Generäle wieder.