: Das Totemtier der Neocons
Von beinhebenden Bossen, wölfisch wilder Musik, Migrationskorridoren durch Polen und matriarchalen Zähmungsprozessen: 2005, so zeigt es der Rückblick auf die einschlägige Presse von „Junge Welt“ bis „BZ“, war ein ausgezeichnetes Jahr für Wölfe
VON HELMUT HÖGE
„Das wird ein gutes Wolfsjahr“, hatte ich nach den ersten 2005 einlaufenden Wolfsfeuilletons frohlockt. Der auf die Auflösung der Nationalökonomien und die Transnationalisierung der Betriebsökonomien drängende Neoliberalismus gab sich dann jedoch derart wölfisch, dass der ideologische Überbau dagegen eher abzuwägen versuchte. Die FR nahm sich dies am 27. Juli in einem ironisch „Lob des Wölfischen“ betitelten Artikel vor, in dem sie gegen deutsche Neocon-Ideologen, die sich wiederum auf Thomas Hobbes beriefen, den Historiker Paul Nolte in Stellung brachte, der stattdessen Aristoteles zu lesen empfahl: „Da lernt man etwas über Bürgeridentität und politische Solidarität, statt über die Kontinuität des real existierenden Egoismus mit seiner wölfischen Vorteilsnahme auf Kosten der Gemeinschaft.“
Auch die abenteuertouristisch und ökologisch motivierten Echtwolf-Wiederansiedlungsprojekte wurden nicht mehr nur dumpf bejubelt. Die wenigen Berichte darüber bemühten sich, die Wölfe in die Regierungspropaganda einzuspannen: So lobte die BZ zuletzt, am 14. Dezember, ihr vorbildlich autoritäres Verhalten: „Nur der Boss hebt das Bein“ – also nur von oben befohlene Gewalt ist natürlich und somit gut, ebenso wie von unten ein „devotes Begrüßungsritual“. Der BZ-Autor hat dabei jedoch eher an den „Transatlantik-Pakt“ seines eigenen (Springer-)Verlags gedacht als an neue Erkenntnisse der Verhaltensforschung.
Aber selbst Überlegungen zur Regulierung der Wolfsbestände gerieten oft unfreiwillig politisch. So argumentierten am 11. Juni in der FR einige polnische Wolfsforscher, die wieder angesiedelten Wölfe in Sachsen hätten ohne „Blutauffrischung“ keine „Überlebenschance“: Sie brauchten dringend Inzucht-Antidepressiva, also neues Genmaterial aus dem Osten – und das sei nur mit „Migrationskorridoren“ möglich. Diese Neuauflage eines diesmal nur für Wölfe gedachten „polnischen Korridors“ soll aus durchgehenden Waldstreifen bestehen: einer Art grüne Wolfsautobahn.
Die deutschen Wolfsforscher konterten mit einer Frohbotschaft: In der Neustädter Heide hätte wieder eine Wölfin Junge zur Welt gebracht, damit habe sich das dortige Rudel auf zwölf erhöht. Der Tagesspiegel ergänzte am 16. Juli: Wegen der dadurch ansteigenden Verluste an Schafen verhandele die sächsische Regierung bereits mit dem Schafzüchterverband um die Höhe der Entschädigungssummen (im Naturpark französische Seealpen rissen die 60 bis 80 Wölfe zuletzt 850 Schafe, 70 Ziegen und vermutlich 3 Pferde).
Dann verschwand auch noch das ganze ostsächsische Wolfsrudel – spurlos: „Ist es nach Polen ausgewandert?“, fragte die FR am 15. Juli; und Bild vermutete, dass es von Jägern erschossen wurde. Dieser „Ente“ trat der „Wolfsexperte“ des Dresdner Umweltministeriums, Gruschwitz, entgegen: Das seien Spekulationen von Naturschützern – bar jeder Wolfskenntnis! Er bestritt sogar, dass die Tiere überhaupt verschwunden seien, sondern nur kurz zwecks Paarung nach Polen übergewechselt wären. Wie dem auch sei, „Sachsens Wolfrudel steht jedenfalls auf unsicheren Füßen“, so CDU-Umweltminister Flath einigermaßen besorgt. Der Präsident des Bundesamtes für Naturschutz beruhigte ihn in der Zeit: Mit der „schrumpfenden Bevölkerung“ würden sich die „Überlebenschancen“ der Wölfe verbessern …
Im September kamen die Wolfsjäger noch mal ins Spiel: Der „passionierte Waidmann“ Joachim Bachmann scheiterte mit einer Klage vor dem Dresdner Verwaltungsgericht, mit der er das Recht zum Abschuss von Wölfen erwirken wollte. „Unsere Vorfahren waren ja wohl nicht verrückt, als sie die Wölfe ausrotteten“, argumentierte er. Die Richter hielten laut FR vom 12. Okt. dagegen: Die Anzahl der Wölfe in Ostsachsen sei nicht Besorgnis erregend hoch – „mit 16 vermuteten Tieren, sprich mit 3,1 Wölfen pro Quadratkilometer, liege das ‚Wolfsland‘ (sic) weltweit eher im Mittelfeld.“ Die Springer-Presse griff darauf eine bereits mehrfach von ihr ausgewalzte Story über einen „im Dickicht der Lausitz“ lebenden „Waldmenschen“ wieder auf: Dieser, ein Arbeitsloser namens „Jürgen (41)“, lebt dort in einer „Lehmhütte mit Frau und Baby“ – und Bild fragte sich am 12. Okt., nachdem Dresdner Ökorichter die Wolfsjagd abgeschmettert hatten: „Jäger in großer Sorge! Holen sich Lausitz-Wölfe bald das Wald-Baby?“
Tatsächlich passierte dann jedoch das Gegenteil, dass nämlich einige Männer einen jungen Wolf fingen und zu Tode quälten, wie das Animal Welfare Counsel von Izmir mit Beweisfotos und einem Wolfsgedicht vermeldete. In Letzterem wurde ungefähr so argumentiert: Wenn die Menschenrechte sogar für Neocons und Manager gelten sollen, dann doch wohl auch und erst recht für Wölfe – ihrem Totemtier quasi. Noch einen Schritt weiter ging dann die Junge Welt, indem sie sogar einige „unabhängige Gewerkschafter“ als „Wölfe im Schafspelz“ bezeichnete: Gemeint waren damit aus den USA nach Kuba entsandte und dort inhaftierte „Delegierte“ einer „Arbeitervereinigung“. Und für diese Feinde des Sozialismus setzten sich nun „Menschenrechtsorganisationen“ ein!
Zuvor hatte dieselbe Zeitung bereits im Zusammenhang einer Aufführung der „Gotteskrieger“ im Gorki Theater vom „internen Wolf“ gesprochen. Im Stück ging es um den Terrorüberfall auf das Moskauer Operettentheater, wobei die Gewaltbereitschaft des Anführers allein in ihm selbst gesucht wurde: „Zacs interner Wolf rumort unter seiner Bauchdecke synchron mit vulkanischen Rockrhythmen.“ Die Inszenierung wurde von der Jungen Welt ebenso verrissen wie dann Wes Cravens neuer Horrorfilm „Verflucht“ von der Jungle World: Es geht darin um ein Geschwisterpaar, das von einem Werwolf verletzt wird und nun selbst zu Monstern mutiert. Am Ende geht dieses „unerträglich sympathische Streberpärchen“ sogar auf den „Urwerwolf“ los. Es gelingt den beiden, ihn mit einem silbernen Tortenheber zu töten – und damit ihre eigene Verwerwolfung rückgängig zu machen: Der Filmemacher habe mit diesem blöden Happyend „eines der wichtigsten Gesetze des Genres missachtet: Das Böse ist nicht aus der Welt zu schaffen!“
Dabei ist das Umgekehrte wahr. „Der Trend zum Wolf hält unvermindert an“, wie die Berliner Zeitung am 19. November meinte. In dem Artikel geht es ebenfalls um „vulkanische Rockrhythmen“: „Nach Howlin’ Wolf, Superwolf, Guitar Wolf, We Are Wolves und den Wolf Eyes durften wir nun eine weitere Rock-’n’-Roll-Band erleben, die ihr musikalisches Schaffen dem Lobpreis der wölfischen Wildheit gewidmet hat.“ Gemeint war damit die kanadische Band „Wolf Parade“ und ihr Konzert in der Arena, auf dem ihr „mehrstimmiges Wolfsgeheul“ von einem Thermenvox herrührte. Dieses Instrument wurde 1920 von Leo Thermin erfunden, der es sogleich Lenin vorführte. Dieser war natürlich begeistert, dass man mit Elektrizität auch Musik machen konnte. Für uns ist dagegen eher von Interesse, dass es sich bei den Wolfsforschern an Oder und Neiße ebenso ausschließlich um Frauen handelt wie bei den professionellen Thermenvox-Spielern (fünf sind es weltweit).
„Warum Frauen Wölfe lieben?“, fragte sich die Welt denn auch am 15. Dezember. Früher sorgten die „Märchen des Patriarchats“ dafür, dass Frauen besonders große Angst vor Wölfen hatten und „Staat, Kirche und Familienoberhaupt“ vorgaben, sie vor diesen Bestien zu beschützen. Heute sind die Frauen dagegen weitgehend auf sich allein gestellt – und prompt laufen sie den erstbesten Wölfen sozusagen in die Arme. Aber statt sich zu wehren, „verfallen sie ihnen“, wie der Welt-Meister Eckhard Fuhr in seiner Rezension dreier neuer Bücher von und über „Wolfsfrauen“ schreibt. Es handelt sich dabei um die Autobiografie „Wolfssonate“ der Pianistin Hélène Grimaud, die ein Wolfsgehege besitzt und mit ihrem Alphatier um die Wette heult; um den Bildband „Wölfe in Deutschland“ von Beatrix Stoepel, in dem es um die Biologin Gesa Kluth geht, die in der Lausitz für das „Monitoring“ von Wölfen zuständig ist; und um den Bericht „Wolfsspuren – Die Frau, die mit den Wölfen lebt“ der tschechischen Zootechnikerin Tanja Askani, die einmal einen „kleinen Wolf“ geschenkt bekam, den sie ihrer Hündin ‚Senta‘ unterschob, die gerade „scheinträchtig, mit prallem Gesäuge“ darniederlag. Als „Schlüsselszene“ hat Fuhr die Beschreibung des ersten Wolfkontakts von Grimaud ausgemacht. Nachdem eine zahme Wölfin sich an ihre Handfläche geschmiegt hatte, spürte sie „augenblicklich einen stechenden Funken, eine Entladung im ganzen Körper, der meinen Arm und meine Brust bestrahlte …“ Aus diesem Schauer der Französin schlussfolgert der Rezensent: „Wölfe sind in Deutschland Frauensache geworden.“ Spätestens seit dem Tod des legendären Wolfsforschers Erik Ziemen, für den die Verwandlung des wilden Wolfs in einen zahmen Hund durch Frauen geschah, indem sie sie quasi eigenbrüstig aufzogen.
Jetzt geht dieser ganze zivilisatorische Zähmungsprozess aus der Zeit des Übergangs von der Jagd zur Viehzucht anscheinend wieder von vorne los. Die Weihnachtsnummer von Emma handelt davon, dass immer mehr Männer keine Kinder haben bzw. wollen: Sie werden als „einsame Wölfe“ bezeichnet, doch das schade ihrem sozialen Ansehen keinesfalls – im Gegensatz dazu sei „das Image der kinderlosen Frau miserabel“. Die deutsche Wolfsforschung ist also nur ein Aspekt der „Gender-Studies“.