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Archiv-Artikel

Erfolgsdeutung

„Ich vergebe nicht, und ich vergesse nicht“: „Kulturzeit extra“ porträtiert die Bildhauerin Louise Bourgeois (19.20 Uhr, 3sat). Viele ihrer Werke heißen „Die Vernichtung des Vaters“

VON BRIGITTE WERNEBURG

Auftritt Louise Bourgeois: steinalt, winzig klein, getrieben von Schlaflosigkeit und einem rastlosen Zwang zur Produktion. Die Künstlerin, die zu den ganz großen Bildhauern der Gegenwart zählt, deren Werk längst einem breiten Publikum bekannt ist, behauptet energisch und entschieden: „Ich vergebe nicht, und ich vergesse nicht.“ Kurz, sie macht es den Filmemachern Nina und Klaus Sohl leicht, auf der kurzen Strecke von 35 Minuten ein anschauliches Portrait von ihr zu zeichnen. Der Kurator, der Assistent, die Galeristin, all die üblichen Verdächtigen, die Filme dieser Art stets zitieren, sie können der souveränen Präsenz der Greisin nichts Entscheidendes hinzufügen.

Ihr Erfolg kam spät. Erst 1982 hatte sie ihre erste Retrospektive im Museum of Modern Art. Zu diesem Zeitpunkt war Louise Bourgeois 71 Jahre alt. Die Retrospektive hätte der Höhepunkt ihres Künstlerlebens sein können, tatsächlich markierte sie den Beginn eines außerordentlich produktiven Spätwerks. Denn wie Bourgeois im Film sagt: Weil er so spät kam, konnte der Erfolg ihr nichts anhaben.

Als sie 1911 in Paris geboren wurde, publizierte Sigmund Freud gerade seine Studien zum Unterbewussten. Sein Werk lieferte Bourgeois die explizit sexuelle Symbolik ihres Werks, den Phallus, die Kugel, den Spiegel, den fragmentierten, fetischisierten Körper und „die Vernichtung des Vaters“ wie ein wiederkehrender Titel ihrer Arbeiten lautet. Doch hinter diesem Wall des Offensichtlichen findet sich ein komplexes Werk mit einem reichhaltigen Repertoire an Formen und Materialien. Mit hermetischen, schweigsamen Räume, die Bourgeois gerne eng hält, wie sie sagt. Die sie als Kokon interpretiert, als Räume, die von der Spinne behütet werden, dem Weberknecht, in dessen Bild sie ihre Mutter symbolisiert und ehrt. Räume, die freilich auch klaustrophobisch wirken können; schließlich repräsentiert die Figur der Spinne ja keineswegs nur Fürsorge und Fleiß, sondern lässt auch an die Jägerin und ihre eingesponnene Beute denken.

Doch Bourgeois macht im Film unmissverständlich deutlich, dass das Vergnügen und die Freude am Zusammensein mit der Mutter, das Glück also, ganz wesentlich ihr Werk motiviert. Damit akzentuiert das Portrait ihre kreative Biografie gegen die übliche Annahme, die Abrechnung mit dem Vater, von dem sich Louise Bourgeois mit ihrer Heirat nach New York 1938 sehr konkret distanzierte, sei die große Triebkraft ihres Werks. Amerika verdanke sie die Art der Umsetzung, Frankreich den emotionalen, mörderischen Ursprung ihres Werks, sagt Bourgeois, die vor drei Tagen 94 Jahre alt wurde. Amerika gab ihr also die unabdingliche Freiheit, nicht zu vergeben und nicht zu vergessen.