: Die verdrängte Hälfte des Weltkriegs
VERDRÄNGTES KAPITEL Die Wanderausstellung „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“ thematisiert die Rolle von Menschen aus Asien, Afrika, Ozeanien und Lateinamerika während des Zweiten Weltkrieges. Unumstritten war die Ausstellung dabei zunächst nicht
VON ROBERT MATTHIES
Im Namen klingt es zwar an: Der Zweite Weltkrieg wütete in weiten Teilen der Welt und beschränkte sich nicht nur auf Schauplätze in Europa und Asien. Dass in den 1930ern und 1940ern auch in Afrika, Ozeanien und Lateinamerika gekämpft wurde, bereits lange vor dem deutschen Angriff auf Polen und noch nach der Kapitulation Deutschlands und schließlich Japans, ist allerdings bis heute nur wenig ins öffentliche Bewusstsein und die Geschichtsbücher gedrungen. Und bislang kaum erforscht worden. Nicht nur ein angesichts des Krieges gegen den nationalsozialistischen Aggressor und die Achsenmächte unbedeutender Nebenaspekt des Zweiten Weltkrieges, sondern „die fehlende zweite Hälfte“ werde damit ausgeklammert, findet Karl Rössel.
Zehn Jahre lang hat der Kölner Sozialwissenschaftler und Journalist seit 1996 gemeinsam mit dem Rheinischen JournalistInnenbüro und seit 2000 mit dem Journalisten- und Wissenschaftler-Zusammenschluss Recherche International über das verdrängte Kapitel des Weltkrieges geforscht, hat Kriegsschauplätze auf drei Kontinenten bereist, dort Zeitzeugen interviewt und mit Wissenschaftlern zusammengearbeitet, um das hinter dem Vergessen und Verleugnen steckende eurozentristische Weltbild der Geschichtsschreibung zu korrigieren.
2005 fand die Recherche einen ersten Niederschlag im 500-seitigen Band „Unsere Opfer zählen nicht. Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“, drei Jahre später folgten Unterrichtsmaterialien. Noch ein Jahr später wurde schließlich in Berlin zum ersten Mal die aus dem Projekt hervorgegangene Wanderausstellung „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“ gezeigt, die seitdem durch mehr als 20 deutsche Städte gereist ist und nun bis Ende Juni auch im Südflügel der ehemaligen Walther-Werke auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Neuengamme zu sehen ist.
Mit zahlreichen Fotos, erklärenden Texten, Audiodokumenten und Videos macht die Ausstellung deutlich, wie weitreichend und komplex die Folgen der Einbeziehung in den Krieg für Menschen aus dem Trikont waren und bis heute sind und welchen Preis die Betroffenen dafür zahlen. Nicht nur damals wurden Soldaten aus Afrika, Asien, Ozeanien und Südamerika, die auf Seiten der Achsenmächte und der Alliierten kämpfen mussten, wie Soldaten zweiter Klasse behandelt, wurden schlechter bezahlt, verpflegt und untergebracht. Bis heute erhalten die meisten von ihnen keine Kriegsrente, Zwangsarbeiter keine Entschädigung.
Erschreckend sind die Ausmaße dieses verdrängten Aspektes des Zweiten Weltkrieges. Mehr Opfer als Deutschland, Italien und Japan zusammen hatte allein China nach dem Zweiten Weltkrieg zu beklagen, erfährt man da. Eine Million Soldaten aus afrikanischen Kolonien zogen an der Seite der britischen Armee in den Krieg, noch einmal eine Million Afrikaner_innen standen unter französischem Kommando auf mitunter wechselnden Seiten der Front. Brasilianer kämpften in Italien, Koreaner im Pazifik, Guerrilatruppen gegen alte Kolonialherren und neue Besatzer. Millionen mussten als Lastenschlepper und Bauarbeiter, als Aufklärer hinter feindlichen Linien oder Bergungstrupps für verwundete Soldaten arbeiten.
Einen großen Teil der Ausstellung nimmt der Kriegsschauplatz Asien ein. Allein dem Massaker von Nanking fielen rund 370.000 Menschen zum Opfer, über 20.000 Frauen wurden dort vergewaltigt. Aus ganz Asien verschleppt wurden von der japanischen Armee rund 200.000 Frauen, die als so genannte „Trostfrauen“ in Militärbordellen vergewaltigt wurden. 44 von ihnen zeigt die Ausstellung im Porträt.
Unumstritten war die Ausstellung dabei nicht. Im September 2008 sollte sie in der Berliner Werkstatt der Kulturen gezeigt werden. Deren Leiterin Philippa Ebéne jedoch sagte die Ausstellung kurz vor der Eröffnung ab, weil sie die Würdigung der Rolle von people of colour im Kampf gegen den Nationalsozialismus durch den gleichzeitigen Hinweis auf Kollaborateure wie den Jerusalemer Großmufti Hadsch Amin al-Husseine, der als Führer der Araber in Palästina galt und eng mit der SS zusammenarbeitete, relativiere. Unkritisch reproduziere die Ausstellung kolonialrassistische Bilder und Begriffswelten und lehne sich an Völkerschauen und Kolonial-Schmonzetten der 1930er und 1940er an, lautete ein weiterer Vorwurf.
Darauf haben die Initiatoren des umfangreichen Begleitprogramms in Hamburg reagiert: Zur Eröffnung sprach nach einer Einführung von Kurator Karl Rössel auch die Berliner afrodeutsche Historikerin Katharina Oguntoye über „Kontinuitäten und Brüche des Rassismus – Menschen afrikanischer Herkunft in Europa“. Bis Ende Juni vertiefen eine ganze Reihe von Vorträgen, Diskussionen und Filmvorführungen das Thema. Heute Abend spricht Rössel in der Universität Hamburg über den Zweiten Weltkrieg in Afrika und seine Folgen bis in die Gegenwart. Nächsten Donnerstag spricht dann die Berliner Historikerin Susann Lewerenz über „Lebensbedingungen und Handlungsstrategien Schwarzer Menschen im Nationalsozialismus“.
■ bis So, 30. 6., KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Südflügel der ehemaligen Walther-Werke, Jean-Dolidier-Weg 75, Mo – Fr 9.30 – 16 Uhr, Sa / So 12 – 19 Uhr, im Juni auf Anfrage. Lesung „Der Zweite Weltkrieg in Afrika und seine Folgen bis in die Gegenwart“: Do, 18. 4., 18 Uhr, Universität Hamburg, Edmund-Siemers-Allee 1, Hörsaal C; Infos und Begleitprogramm unter www.3www2.de