: Von Versöhnung keine Spur
VENEZUELA Der Streit um den Wahlausgang verschärft sich. Die Opposition konkretisiert erstmals ihre Betrugsvorwürfe. Nachts liefern sich Anhänger und Gegner der Regierung akustische Gefechte
AUS CARACAS JÜRGEN VOGT
Noch immer hat der unterlegene Oppositionskandidat Henrique Capriles keinen offiziellen Widerspruch beim Obersten Wahlrat eingelegt. Aber auf einer Pressekonferenz am Dienstag konkretisierte er die Vorwürfe der Opposition und nannte Beispiele für Unregelmäßigkeiten: So seien in 535 Wahllokalen die elektronischen Wahlmaschinen ganz oder teilweise defekt gewesen. In 283 Wahllokalen wurden den Wahlzeugen der Opposition die garantierte Anwesenheit verwehrt oder sie wurden teilweise von Militärangehörigen mit Waffengewalt aus den Wahllokalen verwiesen.
In den Listen seien rund 600.000 Verstorbene als Wahlberechtigte eingetragen. In einigen Wahllisten stünden weniger Wahlberechtigte als die Zahl der gemeldeten abgegebenen Stimmen. In 1.176 Wahllokalen habe Nicolás Maduro mehr Stimmen bekommen als Hugo Chávez bei der Präsidentschaftswahl im Oktober. „Wer soll das glauben?“, fragte Capriles.
Ohne genaue Zahlen zu nennen, sprach er von weit über einer Million Wahlberechtigten, die in den von den Unregelmäßigkeiten betroffenen Wahllokalen zur Abstimmung aufgerufen waren. „In den Stimmlokalen, in denen Unregelmäßigkeiten festgestellt werden, muss die Stimmabgabe annulliert werden“, pochte er auf das Wahlgesetz. Nach dem offiziellen Ergebnis hatte Capriles die Präsidentschaftswahl am Sonntag mit nur 272.865 Stimmen Unterschied gegen Nicolás Maduro verloren.
Offiziell sieben Tote bei Protesten
„Wir fordern deshalb die Überprüfung und den Abgleich der Listen der aufgeführten Wahlberechtigten mit den Wahlakten, in der jeder nach seiner Stimmabgabe unterschreibt und einen Fingerabdruck hinterlassen muss, und den Wahlbelegen, die jeder Stimmberechtigte nach seiner Stimmabgabe in eine gesonderte Urne wirft.“ Das sei die einzige Forderung, so Capriles.
Derweil blieb die Stimmung in Venezuela auch in der dritten Nacht nach der Wahl extrem angespannt. Bei den Protesten am Tag und in der Nacht zuvor wurden offiziell sieben Todesopfer registriert – die meisten davon wohl Anhänger der Regierung.
Der gewählte Präsident Nicolás Maduro hatte dazu aufgerufen, das für den Abend wieder angekündigte Kochtopfschlagen der rechten Opposition zu übertönen. Wo tags zuvor noch die Anhänger der Opposition auf Kochtöpfe schlugen, trommelten, sangen und tanzten die Chavistas. Im Himmel über Caracas knallten pausenlos Feuerwerksraketen.
Die Anhänger von Oppositionskandidat Henrique Capriles folgten weitgehend seiner Aufforderung, zu Hause zu bleiben, aber auf Balkonen und Innenhöfen auf die Kochtöpfe zu schlagen. So erhob sich Punkt 20 Uhr das typische metallisch-chaotische Geräusch eines Kochtopfkonzerts.
Die Rechte führe einen Krieg gegen das Land, wetterte Nicolás Maduro. „Die Stunde der Entscheidungen in Venezuela ist gekommen. Entweder sind wir auf der Seite des Friedens und des Vaterlandes, oder wir sind mit dem Faschismus und der Gewalt“, sagte Maduro und machte klar, dass er einen Marsch der Opposition in die Innenstadt nicht zulassen werde. „Sie werden nicht ins Zentrum von Caracas marschieren und es mit Toten und mit Blut füllen.“
Capriles sagte den für Mittwoch geplanten Marsch zum Obersten Wahlrat CNE im Zentrum der Hauptstadt ab. Dabei wollte er offiziell seinen Antrag auf eine Neuauszählung der Wahl vom Sonntag dem CNE übergeben. Er habe verlässliche Informationen darüber, dass die Regierung gezielt Provokateure in die Opposition einschleuse.