Fressriesen, Riechwesen

Eine prächtige Wiederentdeckung: Hellmut von Cubes „Tierskizzenbüchlein“

Bücher, die mit Tieren zu tun haben, sind zumeist eine problematische Sache. Sie verfallen entweder schnell einem kindlichen Duktus, wollen uns belehren, fallen auf die naive „Ist das aber süß“-Masche rein, sind stinklangweilig oder geistig stark eingeschränkt. Und jetzt dieses Buch, erstmals erschienen im Jahr 1935 bei S. Fischer auf Empfehlung Hermann Hesses, der bemerkt hatte, dass „jede dieser liebenswürdigen und hochbegabten Betrachtungen uns ins Große, ins Herz der Welt“ führt.

Hellmut von Cubes „Tierskizzenbüchlein“, nun wieder entdeckt vom kleinen, im vergangenen Jahr gegründeten Verlag Heinrich & Hahn und in einer reizend illustrierten Ausgabe herausgegeben, hat sich eine kindliche Weltsicht bewahrt, ohne dümmlich zu sein, es klärt uns auf, ohne pädagogisch zu sein, es ist in seiner außergewöhnlichen, eigenwilligen Sprache rührend. Vor allem aber ist es in seinen Beobachtungen der im Wortsinne animierten, also beseelten Natur immer wieder überraschend, weil es uns über den Menschen ebenso viel erzählt wie über die Tierwelt.

Zum Beispiel von der Spinne, die sich an der Erde freute, als sie sie erstmals betrat, aber nicht lange, weil sie von allen anderen Lebewesen angefeindet wurde. Sie klettert auf einen Baum, um in den Himmel zurückzukehren, wird von einem Vogel verfolgt, lässt sich in die Tiefe fallen. „Von der Morgensonne geweckt, fand sie sich an einem feinen Faden hängend, der aus ihrem Leib kam. Unverdrossen folgte sie diesem neuen Weg nach oben, wo sich eine Mücke verfangen hatte und wo sie erkannte, wie der Himmel es mit ihr meine. Seitdem spinnt die Spinne ihr Netz, grausam wie die Erde und wie der Himmel wunderbar.“

Im „Tierskizzenbüchlein“ hat alles seinen Platz und seinen guten Grund. Und alles hängt miteinander zusammen. Hellmut von Cube rekonstruiert archaische Zustände, die natürliche Ordnung der Dinge, grundiert von Leben und Sterben, Fressen und Schlafen, ohne im Geringsten reaktionär zu sein. Sicher, dass das Schwein ein prächtiges Tier und uns noch dazu sehr ähnlich ist, ist nicht neu, aber wann konnte man das jemals so prächtig formuliert lesen: „Das Riechen und das Wühlen, das Suhlen, der Fraß und die fette Ruhe wird bei ihm zu einer Orgie und offenbart uns das Dasein und die Macht von Kräften, die wir fast vergessen haben in den großen Jahrtausenden und in den kleinen seit unserer Kindheit.“

Dass von Cube nicht vergisst zu erwähnen, dass letztendlich auch über diesen „Fressriesen“ und „Riechwesen“ das Schicksal sein Messer wetzt, versteht sich. Nicht länger als zwei oder drei Seiten ist jedes einzelne dieser Kunststückchen vom Bussard, der Kreuzotter, dem Igel oder dem kleinen Hund mit dem weichen Fell, den dunklen, kindlichen Augen, der feuchten Nase und den vier raschen Beinen, der seinen geliebten großen Mann am Scheideweg von Himmel und Hölle erwartet und den Teufel zur Aufgabe zwingt. Hellmut von Cube starb 1979 in München. Dass sein „Tierskizzenbüchlein“ uns jetzt so überraschend zugelaufen ist, einfach so, ist eine große Freude. CHRISTOPH SCHRÖDER

Hellmut von Cube: „Tierskizzenbüchlein“. Verlag Heinrich & Hahn, Frankfurt/ Main 2005, 99 Seiten, 15,90 Euro