: Abseits der Sieger
Anno horribilis – der etwas andere Jahresrückblick: Wie der Fußballer Fredi Bobic vergeblich einen neuen Verein sucht, der Altfunktionär Walther Tröger die Einheit des deutschen Sports nicht verhindern kann und die Fechterin Imke Duplitzer ihr Scheitern aufarbeitet
Es kommt nicht von ungefähr, dass Fredi Bobic einmal sagte: „Man soll nicht alles so schlecht reden, wie es war.“ Schließlich hat Bobic im Laufe seiner Karriere erfahren, dass im Niedergang bereits der Keim für den Aufschwung verborgen liegen kann – wie vor drei Jahren, als er bei Borussia Dortmund scheiterte, den Verein wechselte und urplötzlich ein Tor nach dem anderen schoss. Erst für Hannover 96, dann nach über vier Jahren Abwesenheit auch wieder für die Nationalelf.
Dieses Jahr verlief für Bobic so schlecht, dass es fraglich ist, ob er seine Karriere fortsetzen wird. Im Frühjahr und Sommer stand er bei Hertha BSC nur ein einziges Mal in der Startelf. Nach anderthalb Jahren erfolglosen Stürmens glaubte man in Berlin nicht mehr an ihn und ließ seinen Vertrag im Juni auslaufen – ein trostloser Abschied.
Ein Ende seiner Laufbahn schloss Bobic damals kategorisch aus, weil er ein weiteres Comeback à la Hannover für machbar hielt. Er verbreitete Optimismus: Es sei nur eine Frage von Wochen, bis er wieder verpflichtet werde. Und er demonstrierte Gelassenheit: Es wünsche sich doch jeder einmal eine Auszeit vom Job, um körperliche und geistige Kraft zu sammeln.
Nun dauert die Suche nach einem neuen Verein jedoch statt ein paar Wochen bereits ein halbes Jahr an. Der Berater von Bobic, Bernhard Schmittenbecher, erklärt, man habe sich nun eine Frist bis Ende Januar gesetzt. Wenn sich bis dahin kein neues Arbeitsverhältnis bei einem Erstligisten im In- oder Ausland abzeichne, werde Bobic aufhören. Sagt der Berater.
Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende? Fredi Bobic und sein Umfeld wollen das so nicht sehen. Der 34-Jährige sagt, er müsse niemandem mehr etwas beweisen. Und Schmittenbecher versichert: „Bobic macht die Situation überhaupt nicht zu schaffen.“
Es kommt tatsächlich selten vor, dass der in Maribor (Slowenien) geborene Fußballer wegen seiner leidigen Vereinssuche irgendein Missbehagen durchblicken lässt. Nur der Welt verriet er, dass es ihm bisweilen so vorkomme, als klebe ein Schild auf seiner Stirn mit der Aufschrift „vereinslos“ – und in den Augen der Passanten machte er Mitleid aus. Das ist die einzig öffentlich bekannte Schattenepisode des arbeitslosen Bobic. Ansonsten versucht er das Beste aus seiner Lage zu machen. Der Schwabe lebt so normal und geregelt wie möglich. Fredi Bobic trainiert bei seinem ehemaligen Verein, dem Regionalligisten Stuttgarter Kickers und verbringt die Zeit zwischen den Jahren wie so viele Fußballprofis in einem wohltemperierten Land, in Katar am Persischen Golf.
Vielleicht findet Bobic ja noch einen Verein. Am liebsten, hat er einmal gesagt, würde er vor der Weltmeisterschaft in der Bundesliga spielen. Der Pressesprecher von Hertha BSC Berlin, Hans-Georg Felder, kann sich gut vorstellen, dass Bobic bei einem kleineren Bundesligaklub noch einmal Erfolg haben könnte. Er würde es ihm von Herzen wünschen. Denn als Menschen bescheinigt er ihm Ausnahmequalitäten: „Bobic ist der einzige Profi gewesen, der mir zu Weihnachten eine Karte geschickt hat.“
JOHANNES KOPP
Dies ist die Geschichte zweier Männer, die sich im Duell gegenüberstanden, immer und immer wieder, mehr als zehn Jahre lang. Und es ist eine Geschichte davon, dass man sich nicht nur zweimal im Leben begegnet. Man trifft sich dreimal. Zweimal schon hatten sie sich gegenübergestanden in entscheidenden Situationen, Walther Tröger, der Ehrenpräsident des Nationalen Olympischen Komitees, und Manfred von Richthofen, der Chef des Deutschen Sportbundes. Es steht Remis, als sie am 10. Dezember in Köln aufeinander treffen. Der eine, Richthofen, will mit aller Macht die Fusion beider Organisationen, der andere, Tröger, will sie verhindern, um jeden Preis. Erstmals gelang es ihm 1995 mit einer donnernden Rede, als er Richthofen, den Fusionstreiber, ins Abseits manövrierte. Der revanchierte sich Jahre später, als er sämtliche Verbindungen nutzte und den NOK-Chef aus dem Amt drängte.
In Köln naht die Entscheidung, unausweichlich. Der Neo-Prunk im Kongresssaal des Maritim-Hotels scheint davon erzählen zu wollen, dass bald eine Epoche zu Ende sein wird. Ungewiss ist der Ausgang der Abstimmung im NOK. Lange hatte Tröger nicht gesprochen, stattdessen einen Brief an die Mitglieder geschrieben, der nicht wirkungslos verhallte. Ritter Sport im DSB wurde mulmig zumute.
Beide können das Wort führen wie eine Waffe. Und Tröger ist im Vorteil. Alles hängt nun am NOK, vielleicht vereitelt ein einziger Appell die Pläne Richthofens. Ein zähes Procedere beginnt, Redner um Redner tritt ans Pult. Der erste von ihnen, Trögers Präsident Klaus Steinbach, beschwört langatmig die Chance, die es nicht zu vertun gelte. Andere, wie Hans Wilhelm Gäb, der Sporthilfe-Chef, plädieren, bitten, flehen: „Stimmen sie der Fusion zu.“ Dann tritt Tröger auf. In der linken einen Zettel, auf dem ein paar Stichpunkte notiert sind. Er hat keine Rede notiert, doch er hält eine, als Einziger. Von all den Reden und Schwänken, die gehalten wurden, ist seine die Einzige, die auch nur ein wenig Geist reflektiert, auch wenn es bloß der der Verweigerung ist. Es könne nicht sein, „einen soliden, schlanken Organismus aufzugeben und in ein Loch zu versenken, um einem kränkelnden zu helfen“. Er spricht von Ungewissheit, zitiert Schillers „Wallenstein“, klagt mangelnden Respekt an und bekennt schließlich: „Auch ich habe Angst, ich weiß nicht, wovor, vielleicht vor dem Tag danach.“ Nicht einmal schaut er auf seinen Zettel.
Tröger beantragt eine geheime Abstimmung. Richthofen quittiert es zähneknirschend. Der ehemalige NOK-Chef verlässt mit der Miene des Fatalisten das Pult. Die Zettel werden gesammelt. Der Augenblick der Anspannung ist für die beiden Kombattanten unerträglich. Hier geht es nicht um Geplänkel. Es geht auch nicht um Sport und seine Strukturen. Hier geht es um das Lebenswerk zweier Männer, die wissen, dass diese Niederlage schmerzlich sein wird.
Zwei Stimmen geben den Ausschlag, Richthofen gewinnt. Ein großartiges Stück Veteranenkino geht zu Ende. Nie wieder werden sie sich duellieren. Tröger geht, er tritt nicht nach. Nie wieder wird man ihn so sehen wie an diesem 10. Dezember in Köln, dem Tag, der das Schicksal des Olympischen Komitees besiegelte. STEFAN OSTERHAUS
Mit feiner Klinge wollte Imke Duplitzer das Gefecht führen. Doch der Auftakt zur Weltmeisterschaft in Leipzig missriet gründlich. Sie focht an diesem Oktobertag, als hätte sie eine Brechstange in der Hand und keinen Degen. Sie, die zur Heroine dieses Championats hätte aufsteigen können, scheiterte bereits im ersten Duell – gegen die Japanerin Megumi Harada. Es war knapp, 14:15 ging der Kampf verloren, aber draußen war Duplitzer trotzdem. „Ich bin von mir selber sehr enttäuscht. Beim 14:12 habe ich perfektionistisch blöd den sichersten Treffer gesucht, aber den gibt es im Fechten nicht“, hatte Duplitzer nach dem Gefecht gesagt und sich im Anschluss den Titel „Rindvieh des Monats“ verliehen.
Imke Duplitzer trägt das Herz auf der Zunge. Sie sagt, was sie denkt. Viele finden das anmaßend, unbequem oder frech. Im Grunde versucht Duplitzer nur, sich und ihre Eigenheiten zu erklären – offen und ehrlich. Die Niederlage kam vielen recht, die mit ihrer Art nicht klarkommen. „Viele hat es sicher gefreut, dass eine, die sich im Vorfeld exponiert hat, nun eine drüber gebrätscht bekommt“, sagt Duplitzer heute, mit dem Abstand von gut zwei Monaten. Nach dem verloren gegangenen Duell sei sie der „Drängler und Motzer“ gewesen, der keine Leistung bringt, aber groß den Mund aufreißt. Sie konnte den Journalisten und Funktionären in den Stunden nach der schmerzhaften Niederlage, die zum Stigma wurde, nicht ausweichen. Sie musste in der Halle ausharren, weil sie am Abend geehrt werden sollte für ihre überragende Leistung des Jahres: den Sieg im Weltcup.
Die Stunden müssen sich endlos gedehnt haben. Als „Tot-Zustand“ beschreibt sie jenes Gefühl der Gefühllosigkeit, das sich damals in ihr breit gemacht hatte. Sportlich hatte sie den Kampf schnell aufgearbeitet. „Fehler A, Fehler B und Fehler C“, habe sie mit ihrem Trainer besprochen. „Das kann passieren, noch dazu gegen so eine unangenehme Gegnerin“, redete sie sich ein. Dass an so einer Niederlage aber viel, viel mehr hängt, sollte ihr erst in den Wochen darauf klar werden: „Man verliert nicht nur ein Gefecht, sondern auch Freunde.“ Nicht jeder wollte sie stützen. „Das tat sehr weh“, sagt Imke Duplitzer rückblickend, „das haut richtig ins Kontor.“
Wie sollte sie Abstand zu diesem 14:15 bekommen, das eine formidable Saison überlagerte? Sollte sie sich „suhlen“ im Gefühl des Scheiterns? Diesem Drang gab sie nicht nach. Auch Grübeln als Möglichkeit der Aufarbeitung verwarf Duplitzer: „Zu fragen, warum das passierte, als ein philosophisches Warum, nein, da machst du dich nur kaputt“, erklärt die Fechterin.
Immerhin, ihr bot sich eine Gelegenheit zur Wiedergutmachung. Der Mannschaftswettbewerb in Leipzig stand noch an. Das sollte eine sichere Medaille werden. Aber auch hier lief im Auftaktgefecht alles schief. Duplitzer setzte keinen Treffer und fing sich fünf ein. Sie sei „total zu in der Birne“ gewesen. Ihr Trainer aus Bonn musste sehr laut werden, um seine Athletin wachzurütteln. „Ich brauchte diese mentale Ohrfeige“, sagt Duplitzer über die Motivationsversuche ihres Coachs. Das Team gewann Bronze, und Duplitzer schien versöhnt. Aber so schnell ging es denn doch nicht. Der Tatendrang sei jetzt „immer noch nicht so richtig da“. Erschwerend kommt hinzu, dass nicht klar ist, ob es weiterhin Mannschaftskämpfe mit dem Degen bei Olympia geben wird; eine Entscheidung soll voraussichtlich im Frühjahr fallen. Eine einzige deutsche Degenfechterin könnte im schlechtesten Falle nur noch zu Sommerspielen fahren.
Imke Duplitzer will trotzdem weitermachen, vielleicht sogar bis 2012. Sie liebt das Fechten, vor allem die ultimative Situation des Duells. Niederlagen, das weiß sie, sind unvermeidlich – unverzeihlich sind sie nie. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann Imke Duplitzer die Japanerin vergessen hat und wieder virtuos den Degen führt.
MARKUS VÖLKER