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Archiv-Artikel

KOMMENTAR VON URS SPINDLER UND ARNE SCHULZ ÜBER DIE JUGEND IM KOSOVO Hoffen auf die zweite Chance

Es sind keine Rachegefühle, die junge Kosovaren zu Callcenter-Betrügern werden lassen

Was macht junge, intelligente Menschen zu Abzockern? Warum lassen sie sich auf kriminelle Machenschaften ein, auf Lug und Betrug? Die Antwort ist simpel und zugleich fatal: Weil ihnen jede andere Chance genommen wurde.

Im Kosovo wächst eine Generation heran, der jegliche Perspektive fehlt. Sie lebt in einem Land, in dem es nur für die wenigsten Arbeit gibt. In dem Abstammung und Beziehungen noch immer mehr Wert haben als Bildung und Leistung. Die jungen Menschen leben in Armut, weil ihre Familien während des Krieges 1999 alles verloren haben. Die Häuser sind 13 Jahre nach Ende der Kämpfe wiederaufgebaut. Aber das Leben liegt in Trümmern.

Dieses Elend wiegt besonders schwer, weil die Jugend des Kosovo ein anderes Leben kennen gelernt hat. Hunderttausende waren während des Krieges geflohen – und viele Kinder, die in Panik aus ihren Betten gerissen wurden, erwachten in einer anderen Welt: in der Bundesrepublik Deutschland. In Wohlstand und Frieden.

Eine junge Frau erzählt von der Zeit im Asylantenheim: von der Zeit, als die Familie noch zusammen war. Von den schönen Tagen in der Grundschule und im Gymnasium. Ein junger Mann berichtet von seinen Freunden in Deutschland. Von den deutschen Mädchen und Jungen, mit denen er gespielt und gelernt hat – und die er nun voraussichtlich nie wiedersehen wird.

Im Callcenter wird Deutsch gesprochen. Das weckt die Erinnerung an die Jahre, in denen das Leben mehr zu bieten schien.

Es sind keine Rachegefühle, die junge Kosovaren zu Handlangern gieriger Callcenter-Betrüger werden lassen. Sie hassen Deutschland nicht. Im Gegenteil: Viele vermissen das Land, aus dem sie ausgewiesen oder abgeschoben wurden.

Sie haben einfach keine Wahl: Mit dem Geld, das sie im Callcenter verdienen, finanzieren sie nicht nur sich selbst, sondern auch jüngere Geschwister und oftmals die eigenen Eltern. Für die jungen Menschen selbst bleibt fast nichts. Sie können nicht sparen, sie können sich nichts aufbauen. Sie bleiben in ewiger Abhängigkeit gefangen. Und wer krank wird, fliegt raus.

Für sich selbst, zum Leben, Wachsen und Erwachsenwerden, haben sie weder Zeit noch Geld. Sie müssen sich um die Familie kümmern und nebenbei um den Aufbau ihres Landes. Dabei ist alles, was sie sich wünschen, eine zweite Chance in Deutschland. Aber die werden sie wohl nicht bekommen.