: Gegen die Alternativlosigkeit
THEATER BREMEN Gintersdorfer/Klaßen präsentieren im Kleinen Haus ihr neues Stück, „Das 2. Bremer Konzil“. Ein Gespräch mit dem Bremer Religionswissenschaftler Christoph Auffarth, der die Künstler inhaltlich beraten hat
Christoph Auffarth
INTERVIEW ANDREAS SCHNELL
taz: Ist Bremen der richtige Ort, sich mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil zu beschäftigen, weil Katholiken hier in der Minderheit sind?
Christoph Auffarth: Der Vorteil einer solchen Aufführung in einem kaum noch religiösen Umfeld ist, solche Themen wie konziliare Prozesse wieder ins Bewusstsein zu bringen. Dieses vermeintlich Alternativlose, das die Berliner Politik immer ausspricht, wieder zu einem offenen Diskurs zu machen und möglichst viele Menschen mit einzubeziehen, Partizipation zu ermöglichen. Stuttgart 21 ist ein misslungenes Beispiel, aber ein Schritt in die Richtung, Demokratie zu öffnen. Das ist im Zweiten Vatikanischen Konzil vorgemacht worden, und es hat gar nichts Katholisches mehr an sich. Es ist vielmehr ein Aufruf gegen Lethargie und Politikverdrossenheit. So eine Botschaft, auf dem Theater vorgespielt, kann das Publikum vielleicht ermuntern und ermutigen, sich auf den Weg zu machen.
Der Titel der neuen Produktion von Gintersdorfer/Klaßen verweist auf das Zweite Vatikanische Konzil, das von 1962 bis 1965 stattfand. Was bedeutet dieses Konzil heute und außerhalb der katholischen Kirche?
Das Zweite Vatikanische Konzil hat sich bewusst mit dem Ersten Vatikanischen Konzil von 1870 auseinandergesetzt, das den Höhepunkt des Antimodernismus der katholischen Kirche darstellt und das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes aufgestellt hat. Damals waren alle Relativierungen und modernen Bedingungen von Wahrheitsfindung und Wissen über den Haufen geworfen worden. Das Zweite Vatikanische Konzil sollte die Modernisierung der Kirche ermöglichen, war also gewissermaßen eine totale Kehrtwendung. Der Weg zum Heil oder zur Errettung der Welt ging nicht mehr exklusiv über die katholische Kirche, die nur ein Licht für die Völker, also „lumen gentium“, sein sollte, wie man das nannte. Das wurde von der katholischen Kirche in den letzten 50 Jahren oft wieder infrage gestellt, zum Beispiel als Papst Benedikt ab 2005 die Piusbrüder in die Kirche zurückholen wollte, während er die sozialistischen Bewegungen der Befreiungstheologie außen vor ließ. So wurde deutlich, dass man sich mehr und mehr vom Vatikanischen Konzil und dessen Modernisierungsprogramm abwandte. Für Papst Benedikt sollte die Kirche ein Fremdkörper in der Moderne sein, an dem man sich reiben sollte.
Benedikt hat selbst am Konzil teilgenommen …
Er war einer der Konzilianten, also Ratgeber, des eher liberalen Flügels dieser Zeit. Als Chef der Glaubenskongregation musste er dann zunehmend die Rolle des Glaubenshüters übernehmen und fand darin seine eigentliche Berufung.
Muss eine Institution wie die katholische Kirche nicht grundsätzlich auf Allgemeingültigkeit beharren?
Das war das Überraschende am Zweiten Vatikanischen Konzil, dass die Kirche vom Alleinvertretunganspruch der Wahrheit so deutlich abgerückt ist und sogar im Kommunismus einen Weg gesehen hat, wie die Welt vorankommen kann – mitten im Kalten Krieg. Das war eine ungeheuerliche Aussage, die deutlich machte: Wir sind alle auf einem Weg zur Wahrheit, aber niemand kennt sie und niemand kann für sie unter menschlichen Bedingungen einen Alleinvertretungsanspruch haben.
Wie kam es zu diesem bemerkenswerten Richtungswechsel?
Papst Pius XII., der Papst, von dem man immer sagte, er habe zur Judenverfolgung geschwiegen, anstatt die Welt darauf aufmerksam zu machen, starb 1958. Sein Nachfolger Johannes XXIII. war ein überraschend anderer Mensch, der längere Zeit in der Türkei die katholische Kirch vertreten und dort auch dafür gesorgt hatte, dass die türkischen Juden nicht in die Vernichtungslager deportiert wurden. Er war ein sehr volksnaher Mann, der die Armut nach dem Krieg sehr wohl wahrnahm. Er hat nicht gesagt: Glauben hilft euch, eure Armut zu ertragen, sondern: Wir müssen Wege finden, die Armut zu überwinden. Nachdem die reiche Kirche jahrhundertelang für die Armen nur Almosen übrig hatte, stellte er sich radikal anders auf, wenn er sagte: Wir haben nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs, in der sich alle kapitalistischen Ideen selbst vernichtet haben, die einmalige Chance, Gerechtigkeit, Gleichheit und den Kampf gegen die Armut auf der Welt auf den Weg zu bringen. Und wir als katholische Kirche wollen ganz vorne mit dabei sein. Ob der neue Papst eine ähnliche Auffassung hat, werden wir sehen. Dass Armut für ihn ein zentrales Thema ist, lässt sich aber schon erkennen.
Monika Gintersdorfer und Knut Klaßen stellen die Frage, „ob im Ritus selbst Verheutigung stattfinden kann“. Was sagt ein Religionswissenschaftler dazu?
Das war natürlich auch ein Thema meines Vortrags als Diskurspate. Ich habe deutlich gemacht, wie sich diese Revolution in der Kirche auch im Ritual dargestellt hat. In der Religionswissenschaft sprechen wir von einer Ritualdynamik. Rituale sind keine leeren Gehäuse, die sich in immer gleicher Weise abspielen, sondern die erstens den beteiligten Menschen verändern und zweitens auch selbst in Veränderung sind. Dagegen scheint der katholische Ritus zu sprechen, in dem genau vorgeschrieben ist, wie viele Schritte der Priester zu gehen hat, wann er ein Kreuz in die Hand nimmt und wann er die Oblate in welche Höhe zu heben hat. Das ist seit Jahrhunderten ganz präzise vorgeschrieben, im Grunde seit der Reformation. Da wurde im Zweiten Vatikanischen Konzil eine enorme Veränderung vollzogen. Der Priester steht nun nicht mehr mit dem Rücken zur Gemeinde und hält Zwiegespräch mit Gott, sondern der Gottesdienst wird ein gemeinsames, fast demokratisches Prozedere, in dem die Gemeinde eine bedeutende Rolle spielt. Auch darin hat sich die Modernisierung der katholischen Kirche geäußert.
Ist ein Stadttheater der richtige Ort „zu neuen Wahrheiten“ zu gelangen, „die als zukünftige Glaubenssätze funktionieren sollen“, wie es in einer Ankündigung des Theaters heißt?
Das finde ich etwas überraschend, ehrlich gesagt. In den Gesprächen mit den Künstlern wurde deutlich, dass es nicht darum gehen kann, Dinge wieder in Stein zu meißeln, in Katechismen zu schreiben oder Lehrsätze zu entwickeln, sondern darum, dass möglichst viele Menschen sich mit einem Programm identifizieren können, das nicht unbedingt populär und modern sein muss, dass aber voranbringt, was wir in den Siebziger- und Achtzigerjahren den konziliaren Prozess genannt haben. Der war ja keineswegs auf die katholische Kirche beschränkt, sondern im Gegenteil eher protestantisch, von der Deutschen Evangelischen Kirche getragen. Dazu gehörte der Kampf gegen Atomkraft, für die Umwelt und für Nachhaltigkeit.
Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil gab es eine „nachkonziliare Krise“, was ja Ausdruck eines gewissen Misslingens ist. Müssen wir nach dem Zweiten Bremer Konzil auch mit einer solchen Krise rechnen?
Wenn es überhaupt so weit kommt, wenn da ein Prozess einsetzt und dieser Prozess in die Krise kommt, wäre ja schon einiges gelungen. Dass es also nicht nur Kunst um der Kunst willen bleibt, sondern auch beim Publikum etwas bewirkt – das wäre eine tolle Wirkung eines Theaterstücks, von der man immer träumt.
■ Premiere: Samstag, 20 Uhr, weitere Aufführungen: Montag, 22. 4. & Samstag, 27. 4., 20 Uhr, Kleines Haus, www.theaterbremen.de