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Archiv-Artikel

SPARTANISCH-KATHOLISCH, PROTZIG-PROTESTANTISCH: VISITE IN ZWEI BERLINER OBER-KIRCHEN Flusspferdhaus und Kaffeegruft

Kirche ist wieder in – warum eigentlich?

VON CLAUDIUS PRÖSSER

Kirchen sind nicht so Berlins Ding. Klar, es gibt jede Menge, auf mehr als 400 schätzen Experten ihre Zahl, von Moscheen, Synagogen und irgendwelchen Randgruppensakralbauten abgesehen. So richtig populär ist aber kaum eine. Jahrzehntelang repräsentierte ausgerechnet der Ruinenstummel der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche für viele Nichtberliner die Prise Gottesfürchtigkeit in der heidnischen Stadt.

Aber da sind doch die Großbauten der üblichen Verdächtigen – der evangelische Dom, die katholische Hedwigskathedrale. Müssten das nicht beseelte Orte sein, Räume, in denen der Hauch Gottes weht? Machen wir uns einmal auf den Weg, an einem ganz normalen Nachmittag.

Zuerst St. Hedwig. In dem klassizistischen Pantheon-Bau zelebriert Kardinal Woelki seine Messen. Obwohl gerade eine „Orgelmeditation“ stattfindet, ist der kreisrunde Raum fast menschenleer. Nicht die Schuld des Kirchenmusikers – der spielt recht ordentlich. Nein, wie man hört, verirren sich außerhalb der Gottesdienste selten viele Menschen ans Ende des Bebelplatzes.

Die, die es tun und dann auch noch verweilen, sind fromm oder DDR-Nostalgiker: Vermutlich ist ausgerechnet diese Kirche das letzte lebende Beispiel des Arbeiter-und-Bauern-Geschmacks der 80er, mit Strängen aus Kugellampen und Aluminiumprofilen und skulpturalem Sicherheitsglas – alles eingerahmt von würfelig gemusterten Wänden in Schimmelgrün. Der Raumeindruck erinnert an einen sehr alten Operationssaal, vielleicht auch an ein historisches Flusspferdhaus. Immerhin riecht es nicht streng, sondern klassisch nach Weihrauch.

Nein, dies ist kein Ort der Bekehrung. Mal sehen, wie das protestantische Pendant abschneidet: der Berliner Dom auf der Museumsinsel. Nicht die offizielle Predigtkirche des Landesbischofs (das ist die Marienkirche), aber die wahrnehmbarste, gerne für Staatsakte genutzte. Ein Angeberbau, für den Wilhelm Zwo einen Schinkel schleifen ließ.

Waren Sie noch nie im Dom, weil Sie der horrende Eintrittspreis von mittlerweile 7 Euro abschreckte? Ihr Glück: Das neo-barock-renaissance-eklektizi-irgendwas-Gekröse aus falschem Gold, gemaltem Marmor und dilettantischen Gemälden ist Nepp in Reinstform. Immerhin: Man bekommt einmal plastisch vor Augen geführt, wie es aussieht, wenn Kirche und Staat verschmelzen: Hoch überm Gestühl fürs Volk macht sich die „Kaiserempore“ breit, und unten lauern hinter Gittern die goldenen Prunksärge der Preußenherrscher. Der des Großen Kurfürsten lastet auf Figuren von Männern mit asiatischen Gesichtszügen, die Hände in Ketten.

Im Keller dann die „Hohenzollerngruft“, eine deprimierende Ansammlung schwärzlicher Zink- und Eichensärge: dürfte zu den beklemmendsten Orten der Stadt gehören. Der Rundgang führt durch eine Art Devotionaliendiscounter in einen winzigen Einstein-Coffeeshop. Aber den hat man offenbar mit einem speziellen Lüftungssystem ausgestattet: Kein Kaffeeduft weckt die Lebensgeister. Nichts wie raus hier.

Um es mal vorsichtig auszudrücken: Bei solchen Kirchen müssen sich Berlins Religionsbosse über ausbleibenden Nachwuchs nicht wundern.