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Archiv-Artikel

berliner szenen Das Alphabet der Stadt

L wie Lichtenberg

„Lankwitz ist eine Stehlampe“, dichtete einst ein junger Stadtpoet. Was aber ist Lichtenberg? Eine diffuse Angst, die einen angesichts sinistrer Sprühbotschaften wie „Smash Antifa“, „Schranz“ oder „Ostwut“ erfasst? Die milde Betretenheit beim Anblick der „Sexbox“ auf der Frankfurter Allee, direkt neben einem Laden, der „Peanuts“ heißt? Das ungläubige Staunen, das ausgerechnet hier die Straßen nach den Heldinnen und Helden der Nibelungen heißen?

Dabei ist Lichtenberg auch dies: Eine Straße mit älteren, freundlichen Menschen, die sich gegenseitig über die vom Eis befreiten Stufen helfen, um zu einer der Arztpraxen zu gelangen. Eine nackte Freia auf dem gleichnamigen Platz, ein von weiteren Graffiti überzogenes Areal von Parkbänken. Eine Behindertenwerkstatt. Ein Spielewald.

In der Nibelungen-Apotheke hinter der Werkstatt gibt es jetzt einen Milchpumpenverleih. Auf dem wie ausgestorben scheinenden Friedhof gegenüber herrscht Astbruchgefahr. Lichtenberg scheint ein schlafender Riese zu sein, ein grundsanierter dazu. Harmlos und müde. Ein Ort, an dem die Agentur für Arbeit neue Glaspaläste baut, Abteilung arbeitslose Akademiker.

Hinter einem Fenster in der Magdalenenstraße steht eine Studentin in Pantoffeln. Offensichtlich kocht sie was, dazu macht sie Tanzbewegungen, Ausfallschritte, vermutlich hört sie irgendeine grundgute Musik. Prächtig gelaunt schwingt sie einen Kochlöffel über den Pagenkopf und schmeckt ihren Finger ab. Ein angstauflösender, schöner Eindruck.

In der Kubornstraße hängt noch ein alt gewordenes Wahlplakat. Über dem Bild der Bundeskanzlerin der Leitspruch: „Deutschlands Chancen nutzen“. Na denn man los. RENÉ HAMANN