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Archiv-Artikel

neun-volt-block von EUGEN EGNER

Es war die Zeit des Ausgesetztseins, der Verbannung, des verschärften Haarausfalls und der Weinkrämpfe. Und es war nicht zuletzt die Zeit einer Hirnlosigkeit, die so vehement war, dass der Psychologe aufgesucht werden musste. Nachdem dieser sich das ganze Elend angehört hatte, schrieb er etwas auf einen Zettel, den er anschließend dem Patienten über den Schreibtisch hinwegreichte. „9-Volt-Blockbatterie“ stand darauf sowie Name und Adresse eines Elektronikladens. „Keine fünf Minuten zu Fuß von hier“, fügte der Arzt hinzu. Auf die daraufhin zum Ausdruck gebrachte Verwunderung des Patienten reagierte er lediglich mit den Worten: „Gehen Sie hin und verlangen Sie die Batterie. Leben Sie wohl.“

Schon fand sich der Patient draußen wieder, in der von unzähligen Menschen hastig durchpflügten Eiswüste der Innenstadt. Die schneidend kalte Luft bohrte sich nahezu ungehindert in die Haut an seinem Hinterkopf. Mit seinen fühllosen, steifen Fingern glaubte er noch immer den Zettel mit der ärztlichen Verordnung zu umklammern, doch hatte er ihn, wie er feststellen musste, bereits verloren. Erstaunlicherweise konnte er sich aber an den Wortlaut erinnern, sogar an die vollständige Adresse des Geschäfts.

Es war tatsächlich nicht weit bis dorthin, vielleicht einhundertzwanzig Meter. In einem Gebäude, das so deprimierend anzusehen war, dass der Patient an der Kompetenz des Psychologen zweifeln wollte, befand sich unübersehbar der fragliche Laden. Das extrem wild gestaltete Schaufenster quoll über von grellem Elektronik-Plunderzeug, von dem der Patient nicht ahnte, wofür oder wogegen es gut sein sollte. Wenigstens würde es drinnen wärmer sein als auf der Straße, und so begab er sich wohl oder übel hinein.

Von der schieren Masse des überall aufgetürmten Unsinns heillos überfordert und unfähig, sich ein detailliertes Bild zu verschaffen, suchte er sein Heil darin, sich auf den Grund seiner Anwesenheit zu konzentrieren. Daraus ergab sich die Notwendigkeit, einer zuständigen Person seinen Wunsch vorzutragen.

Endlich gelang es ihm, in dem apokalyptischen Wust eine Verkaufstheke auszumachen und dahinter ein offenbar weibliches Wesen. Es war jung, groß und stattlich, und der Patient dachte traurig: „Welch ein ungeheurer Aufwand an vorübergehend wohlgeordneter Biomasse, nur um der Fortpflanzung unserer widerlichen Spezies zuzuarbeiten!“ So gefasst wie möglich sprach er: „Ich hätte gern eine Neun-Volt-Blockbatterie.“ – „Einen Neun-Volt-Block?“, rief die junge Schönheit ungläubig aus, und fast wich alle Farbe aus ihrem wundervollen Antlitz.

Sobald sie sich erholt hatte, vertraute sie dem Staunenden an, ihr sei einst von einem hochbegabten kleinen Hund (sie hob ein maßstabgetreues Modell desselben in die Höhe), welcher mit Korrekturfahnen einer Weissagung im Maul hereingetrabt sei, übermittelt worden, es werde einmal einer in den Laden kommen, der sei der Richtige, und ihn werde sie daran erkennen, dass er eine Neun-Volt-Blockbatterie verlangen würde. Nachdenklich betrachtete der Patient den neben der Theke platzierten Verkaufsständer für alle möglichen Batterien. Zwölf Neun-Volt-Blöcke zählte er darin.