„Putin will die Ukraine destabilisieren. Aber das Land hat Spielräume“

Die russische Erdgaspolitik steht im Dienst der russischen Außenpolitik. Aber Putin wird seine Ziele in der Ukraine nicht erreichen, glaubt Ostexperte Eberhard Schneider

taz: Worum geht es der russischen Regierung wirklich, wenn sie den Preis für Erdgaslieferungen in die Ukraine nahezu verfünffachen will?

Eberhard Schneider: Die Erhöhung des Preises ist ein Hebel, um weiter gehende Ziele zu erreichen. Der russische Präsident Wladimir Putin will das ukrainische Netz der Gaspipelines übernehmen. Außerdem hat er die Absicht, die neue ukrainische Regierung zu diskreditieren und zu destabilisieren. Putin will beweisen, das orangene Revolutionen wie die in der Ukraine keinen Erfolg haben können.

Was hat es mit dem Preis zu tun, wenn Putin und der russische Staatskonzern Gazprom die Pipelines der Ukraine erobern wollen?

In Weißrussland funktionierte das im Herbst 2004 so: Gazprom erhöhte den Preis drastisch. Belarus konnte nur zahlen, indem es sein Leitungsnetz an die Russen verkaufte. So stellt die russische Seite sich das auch im Fall der Ukraine vor.

Warum will Putin die Gaspipelines überhaupt unter seinen Einfluss bringen?

Der russische Außenminister hat es einmal so ausgedrückt: Zur Durchsetzung von nationalen Interessen in der Außenpolitik haben Öl und Gas dieselbe Bedeutung wie Atomwaffen.

Kann es Russland gelingen, seine Ziele in der Ukraine zu erreichen?

Eher nicht. Die Ukraine verbraucht aktuell etwa 73 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr, aber nur 17 davon kommen direkt aus Russland. Der überwiegende Teil stammt aus Turkmenistan und aus eigener Produktion.

Aber auch das turkmenische Gas strömt durch Leitungen von Gazprom. In Wirklichkeit ist die Ukraine also zu mehr als zwei Dritteln auf die Lieferungen aus Russland angewiesen.

Der russische Einfluss auf die Ukraine hält sich trotzdem in Grenzen. Denn auch Putin selbst ist auf Gas aus Turkmenistan angewiesen. Da kann er den Hahn nicht einfach zudrehen.

Gazprom hat gestern die Durchleitung von Turkmenistan in die Ukraine schon gedrosselt.

Das wird nicht von langer Dauer sein. Und einstweilen kann sich die Ukraine aus ihren vollen Speichern selbst versorgen.

Wie geht der Konflikt aus?

Jedenfalls nicht so, dass der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko die Bedingungen Putins komplett erfüllt. Vielleicht akzeptiert die Ukraine den hohen Preis für eine Teilmenge, aber nicht für die gesamte Lieferung. Die Pipelines wird Juschtschenko nicht hergeben.

Die Ukraine ist nicht gerade reich, die Wirtschaftsleistung 2004 betrug 52 Milliarden Euro, etwa zwei Prozent der deutschen. Geht das Land an den hohen Gaspreisen nicht Pleite?

Das wird eine schwere Belastung, keine Frage. Aber die Ukraine verfügt auch über Spielräume. Die Regierung plant, die russischen Lieferungen durch Energiesparen und eine höhere Eigenproduktion weitgehend überflüssig zu machen.

Was ist von dem russischen Argument zu halten, die Ukraine sei ein Schurkenstaat, der das für andere Länder bestimmte Gas klaut?

Nichts. Die Ukraine hat das vertragliche Recht, 17 Milliarden Kubikmeter pro Jahr aus den russischen Lieferungen an Westeuropa zu entnehmen – als Gebühr für die Durchleitung.

INTERVIEW: HANNES KOCH