„Tatenlos zugeschaut“
JAHRESTAG Gottesdienst im Dom und Gedenkfeier am Kreuzstein erinnern an Genozid an ArmenierInnen
taz: Herr Mangelsen, warum ist gerade der 24. April so wichtig für die ArmenierInnen?
Jochen Mangelsen: Heute vor genau 98 Jahren verhafteten die Türken die armenische Elite in Konstantinopel und schickten sie in den Tod. Dieser Tag wurde für die Armenier zum Gedenktag an den beginnenden Völkermord.
Wie viele Menschen kamen durch den Genozid ums Leben?
Es starben etwa 1,5 Millionen Armenier und hunderttausende kleinasiatische Griechen und christliche Assyrer. Die Türkei leugnet den Genozid bis heute und spricht von bürgerkriegsähnlichen Zuständen – in denen weitaus mehr Türken als Armenier gestorben seien.
Glauben Sie, dass die BremerInnen davon wissen?
Nein, nicht besonders viele. Ich sehe das als großes Problem und bin der Meinung, dass der türkische Völkermord an der armenischen Minderheit auch ein Stück deutscher Geschichte ist. Es sollte die Pflicht der Bremer sein, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Warum?
Erstens muss man den Völkermord an den Armeniern als Vorläufer des Holocaust begreifen. Schon alleine deswegen ist es wichtig, sich mit ihm zu beschäftigen. Zweitens hat das Deutsche Reich keine Schritte unternommen, seinen Verbündeten – das Osmanische Reich – von den Verbrechen abzuhalten. Die Deutschen haben nur tatenlos zugeschaut. Diese historische Wahrheit muss in das deutsche Geschichtsbild aufgenommen werden.
Wie wurde der Genozid in der jüngeren Vergangenheit von der deutschen Politik beurteilt?
Im Jahre 2005 hat der Bundestag die Armenien-Resolution einstimmig verabschiedet. In ihr werden die Verbrechen gegenüber den Armeniern verurteilt. Der einzige richtige juristische Begriff, der des Völkermords, wurde in der Resolution aber explizit vermieden.
Damit ist das Thema also offiziell vom Tisch?
Das Auswärtige Amt sagt heute, es sei Aufgabe von Historikern offene Fragen zu klären. An der Rücksichtnahme gegenüber der Türkei wird sich so schnell nichts ändern. Ich kann mir aber trotzdem vorstellen, dass bis zum 100. Jahrestag des Völkermords im Jahr 2015 noch einmal Bewegung in die Diskussion kommt. INTERVIEW: BRUNO STEINMANN
17 Uhr, armenischer Gottesdienst, St. Petri Dom; 19 Uhr, Gedenkfeier am Kreuzstein in der Parkallee