piwik no script img

Archiv-Artikel

Armgespeist?

20 Jahre Tafeln sollen genug sein – Aktionstage in Berlin

Aktionstage 26.–28. April

Freitag, 26. April

11 Uhr Auftakt/Presse-Aktion am Brandenburger Tor

19 Uhr Podiumsdiskussion: „Alternativen zur Vertafelung der Gesellschaft im Kontext der Finanzkrise“, Supermarkt Berlin, Brunnenstr. 64

Samstag, 27. April

13 bis 16 Uhr Workshop: „Wege zu einem sozialen Europa“, im Supermarkt Berlin, Brunnenstr. 64

■ Weitere Informationen und das vollständige Programm: www.aktionsbuendnis20.de

Lebensmittel an Bedürftige zu verteilen ist die Grundidee der Hilfsorganisation „Deutsche Tafel“. Vor 20 Jahren in Berlin als kleiner Verein gestartet, ist die Initiative inzwischen zu einem deutschlandweit verzweigten Netzwerk geworden. 50.000 ehrenamtliche HelferInnen sind für die Organisation im Einsatz, um überschüssige Lebensmittel bei Supermärkten einzusammeln. Verteilt wird das Essen an sozial und wirtschaftlich benachteiligte Menschen – hauptsächlich ALG-II-EmpfängerInnen und auf Grundsicherung angewiesene RentnerInnen. Nach Angaben der Organisation nutzen Woche für Woche 1,5 Millionen Menschen das Angebot, für das sie meist einen symbolischen Betrag zahlen müssen.

Doch die Arbeit der Tafeln ist umstritten. In Berlin gibt es seit Sommer 2012 das „Kritische Aktionsbündnis 20 Jahre Tafeln“, welches das Jubiläum nutzen will, um eine öffentliche Debatte über Sinn und Moral der Armenspeisung zu initiieren. Für Luise Molling, Sprecherin des Bündnisses, stehen die Tafeln in Deutschland symptomatisch für eine Politik, die immer mehr Menschen systematisch ausgrenzt und entwürdigt. Die Spaltung in Reich und Arm werde immer weiter vorangetrieben. Dagegen soll nun protestiert werden. Vom 26. bis 28. April ruft das Bündnis zu einem Aktionswochenende in Berlin auf. Los geht es am Freitag um 11 Uhr mit einer Protestaktion am Brandenburger Tor. Hauptaustragungsort der Aktionstage werden die „Supermarkt Studios“ in der Brunnenstraße 64 in Berlin-Mitte sein.

Das Aktionsbündnis, das aus Menschenrechtsorganisationen, Sozialverbänden, Betroffeneninitiativen und engagierten Einzelpersonen besteht, erhebt deutliche Kritik an den Tafeln. So würden diese nur die Symptome von Armut bekämpfen, nicht aber deren Ursachen. Für das Bündnis sind die Tafeln nur eine Notlösung. Für diejenigen, denen eigentlich geholfen werden soll, würde die Essensausgabe vor allem Erniedrigung und Entwürdigung bedeuten. Besonders rügen die AktivistInnen, dass ehrenamtliche HelferInnen von der Politik dafür benutzt würden, um den Sozialabbau in Deutschland abzufedern. Im Gegenzug fordert das Bündnis eine armutsfreie, existenzsichernde und bedarfsgerechte Mindestsicherung. In einem so wohlhabenden Land wie Deutschland sollte niemand auf Lebensmittelzuteilungen angewiesen sein. Die Forderungen richten sich vor allem an die Politik.

Am Freitagabend wird auf einer Podiumsdiskussion über „Alternativen zur Vertafelung der Gesellschaft im Kontext der Finanzkrise“ debattiert. Neben Tafelgründerin Sabine Werth diskutieren unter anderem der Sozialrichter Jürgen Borchert und Elmar Altvater, Moderation: Gaby Sohl (taz). Am Samstag und Sonntag werden Stadtrundfahrten angeboten. Geplant ist eine dreistündige Busfahrt zu den Orten, an denen der Sozialabbau vorbereitet und beschlossen wurde. Zudem soll aufgezeigt werden, wer von Armut profitiert und welche Profitinteressen auch hinter dem Tafelsystem stecken.

Ein weiterer interessanter Programmpunkt ist der Workshop „Wege zu einem sozialen Europa“ am Samstag, bei dem nach Lösungen gegen die sich ausbreitende Prekarität und Armut in Europa gesucht werden soll. Organisiert wird der Workshop von European Alternatives, einer europaweit tätigen NGO, die sich für ein soziales, ökologisches und demokratisches Europa starkmacht. Die Ergebnisse fließen in ein „Bürgermanifest“ ein, das im Dezember veröffentlicht und im Europaparlament diskutiert werden soll. Aber auch Kultur steht auf dem Programm: das Theaterstück „Hartz Grusical mit Hoffnungsschimmer“ wird aufgeführt und es gibt Kabarett. Für das gesamte Programm gilt, dass es kostenlos ist und man ohne Voranmeldung teilnehmen kann. LUKAS DUBRO