: Die Dresdener Überwachung war illegal
BESCHLUSS Das Landgericht Dresden hat die massenhafte Handy-Datensammlung während einer Demonstration gegen Neonazis im Februar 2011 für rechtswidrig erklärt. Hunderttausende Daten müssen jetzt gelöscht werden
■ Maßnahme: Bei der Funkzellenabfrage fragt die Polizei bei Telefonfirmen an, wer in einem bestimmten Zeitraum in einer örtlich begrenzten Funkzelle sein Handy benutzte. Sie erfährt so, welche Telefone in der Nähe eines Tatorts benutzt wurden.
■ Daten: Es werden Verkehrsdaten erhoben: Handynummer, Standort, Verbindungen; keine Inhalte. Behörden können auch Bestandsdaten abfragen. Dann erfahren sie, wer sich hinter einer Handynummer verbirgt. (pw)
VON PAUL WRUSCH
BERLIN taz | Es ist der vorläufige Schlusspunkt eines langen juristischen Kampfes: Das Landgericht Dresden hat die größte Sammelaktion von Handydaten während der Antinazidemo am 19. Februar 2011 in Dresden für illegal erklärt. Mit Beschluss vom 17. April, der erst jetzt bekannt wurde und der taz vorliegt, hebt das Gericht die Entscheidung des Amtsgerichts Dresden auf. Zudem ordnen die Richter an, die erhobenen Daten zu löschen.
Erstmalig hat damit ein Gericht das flächendeckende Sammeln von Handydaten – auch als „Handygate“ bekannt – für rechtswidrig erklärt.
Der sächsische Landtagsabgeordneten Falk Neubert (Linkspartei), der damals ebenfalls gegen den Naziaufmarsch demonstrierte, hatte gegen die sogenannte Funkzellenabfrage Einspruch erhoben. Neubert zeigte sich am Mittwoch erfreut: „Es ging dabei ja nicht um eine belanglose polizeiliche Maßnahme, sondern um einen massiven Grundrechtseingriff“, sagte er.
Rückblick: Am 19. Februar 2011 demonstrierten in Dresden Zehntausende Menschen gegen einen Naziaufmarsch. Die Polizei wollte Fälle von schwerem Landfriedensbruch aufklären und ermittelte wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Sie veranlasste deshalb mehrere Funkzellenabfragen (siehe Kasten). Dabei wurden insgesamt über eine Million Verkehrsdaten von mehr als 300.000 Menschen abgefischt. Darunter nicht nur Demonstranten, sondern auch Anwohner, Journalisten, Anwälte und Politiker. Die taz hatte das im Juni 2011 aufgedeckt. Es folgte bundesweite Empörung: Der Dresdner Polizeipräsident musste gehen, der Bundestag debattierte, Sachsen schlug eine Bundesratsinitiative vor. Seither geschah – nichts.
Doch etliche Betroffene wehrten sich, legten Beschwerde beim Amtsgericht ein – erfolglos. Die Funkzellenabfrage sei rechtmäßig, hieß es in den Beschlüssen. Sie sei für die Ermittlungen unabdingbar gewesen. Allerdings: In keinem der bisherigen Verfahren, die sich auf die Vorfälle beziehen, flossen die Handydaten ein (siehe unten).
Der jetzige Beschluss des Landgerichts bezieht sich auf die größte Funkzellenabfrage, die zwölf Stunden lang südlich des Bahnhofs von Dresden stattfand. Das Gericht kritisiert, dass in dem Beschluss „kein Bezug zu den schweren gewalttätigen Ausschreitungen hergestellt werden“ und sich somit die „Erforderlichkeit der FZA“ nicht ergibt. Eine zweite FZA rund um die Dresdner Geschäftsstelle der Linkspartei bezeichnete das Landgericht dagegen als rechtmäßig. Weitere Konsequenzen wie Schadenersatzklagen wird der Beschluss nicht haben. Rechtsanwalt André Schollbach, der Falk Neubert vertritt, wertet ihn dennoch als deutliches Signal an die sächsischen Behörden, „künftig sensibler mit dem Instrument der FZA umzugehen“.
RECHTSANWALT ANDRÉ SCHOLLBACH
Das ist eher unwahrscheinlich, denn die Staatsanwaltschaft Dresden sieht sich in ihrer Rechtsauffassung bestätigt. „Es gab lediglich einen handwerklicher Fehler, es wurde vergessen, eine konkrete Begründung aufzuschreiben“, sagte ein Sprecher der taz. Zugleich erklärte er, man werde die Daten der beanstandeten FZA löschen.
Tatsächlich hat das Landgericht die FZA vor allem formal beanstandet, nicht jedoch grundsätzlich für unverhältnismäßig erklärt. Andere Beschwerdeführer kündigten bereits an, bei ähnlichen Beschlüssen vor das Bundesverfassungsgericht zu gehen, um diese Grundsatzfrage klären zu lassen.
Auch die taz hat Beschwerde gegen die Funkzellenabfrage eingelegt, mehrere taz-Journalisten waren damals vor Ort, führten Handygespräche, verschickten SMS – und wurden so von der FZA erfasst. Die Beschwerde liegt noch immer beim Landgericht Dresden.