: „Es ist eine Frage des Lebensstandards“
Der Meinungsforscher Klaus-Peter Schöppner stellt fest: Die BürgerInnen lehnen Atomenergie nicht mehr so stark ab wie früher. Denn Strom, Gas und Öl werden immer teurer. Dennoch sollten die Grünen weiter den Ausstieg fordern
taz: CSU-Wirtschaftsminister Glos will den Atomausstieg verhindern. Will die Union ihre Wähler schockieren?
Klaus-Peter Schöppner: Nein, CSU und CDU haben wahrgenommen, dass sich die Einstellung der Bürger beim Thema Atomenergie verändert hat. Das ist seit dem letzten Jahr messbar.
Die Union hat also das bessere Gespür für die Bürgermeinung?
Es gibt jedenfalls einen Wandel. Nach Tschernobyl 1986 gab es nur noch eine Minderheit von 20 Prozent, die für Kernenergie war. Diese Einstellung hat sich erstaunlich lange gehalten. Bei BSE zum Beispiel sind die Käufer recht bald zu ihren Gewohnheiten zurückgekehrt. Doch bei der Atomkraft war die Bevölkerung fast 20 Jahre lang konstant für den Ausstieg. Das ist seit letztem Jahr anders.
Warum dieser plötzliche Stimmungsumschwung?
Jetzt haben die Bürger erstmals das Gefühl, dass der Atomausstieg etwas kostet. Denn die Alternativen Gas, Öl und Benzin werden teurer.
Wie deutlich ist die Mehrheit für die Atomenergie?
Es kommt darauf an, wie die Fragen formuliert sind. Fragt man nur nach dem Atomausstieg, dann gibt es noch eine Mehrheit. Aber sie schmilzt ab. Die Zustimmung zur Kernenergie nimmt zu und liegt deutlich höher als in den letzten Jahren. Doch diese Mehrheiten verändern sich, wenn man die Annahmen und Implikationen in der Frage verändert.
Ein Beispiel?
Wenn man etwa fragt, ob die Atomkraft nicht zu einem Energiemix gehören könnte, um die Preise stabil zu halten, dann gibt es auch dafür eine Mehrheit. Damit wird die Atomenergie toleriert, die bei anderen Fragen mehrheitlich abgelehnt wird.
Die Wähler denken also letztlich nur an ihr Portemonnaie?
Da drücken sich Sorgen aus. Etwa 80 Prozent der Bevölkerung befürchten, dass sie ihren Lebensstandard nicht mehr halten können. Gleichzeitig gelten die regenerativen Energien wie die Windkraft als sehr teuer. Die Windräder werden zudem abgelehnt, weil sie die Landschaft verspargeln.
Sind denn AKWs schöner?
Zumindest sind sie schon vorhanden. Außerdem versprechen sich die Bürger, dass Deutschland nicht so abhängig wird von anderen Energiemächten. Die eigenen Kosten sind für die Bürger am wichtigsten, aber dieser Sicherheitsaspekt folgt gleich an zweiter Stelle.
Will die Union mit ihrer Atompolitik auch die Unternehmer beruhigen, dass sie an deren Interessen denkt?
Nicht in erster Linie. Es ist vor allem ein Signal an die Bürger, dass sie mit ihren Sorgen um den Lebensstandard ernst genommen werden. Aber die Wirtschaft nimmt natürlich das Signal wahr, dass die Kernenergie ein Bestandteil des Energiemixes bleiben könnte und dass von den Unionsparteien gewünscht wird, dass die Energieunternehmen weiter am Thema Atomsicherheit arbeiten.
Muss nun auch die SPD ihre Position zum Atomausstieg verändern?
Das ist natürlich eine politische Entscheidung, wie man mit der Ambivalenz in der Bevölkerung umgeht. Es gibt noch eine Mehrheit gegen Kernenergie – aber auf der anderen Seite fürchten eben 80 Prozent um ihren Lebensstandard und wären somit bereit, Atomenergie in einem Energiemix zu tolerieren.
Müssen auch die Grünen umdenken?
Sie sollten auf jeden Fall weiterhin den Atomausstieg fordern. Denn damit erreichen sie eine Bevölkerungsgruppe, die deutlich größer ist als die Klientel der potenziellen Grün-Wähler. Damit können sie letztlich Wähler binden. Allerdings hängt diese Strategie auch davon ab, wie sich die SPD positioniert.
Im März sind Landtagswahlen in Baden-Württemberg. Wird der Atomausstieg eine Rolle spielen?
Durchaus. Denn dort sind relativ viele Atomkraftwerke. Also stehen sich dort zwei starke Gruppen gegenüber – die Wirtschaft und die Ökofraktion. Das kann zu einer Polarisierung des Wahlkampfes führen.
Kann der Atomausstieg langfristig die große Koalition gefährden?
Langfristig oder mittelfristig wird es ein Streitthema sein. Kurzfristig aber ist die neue Bundesregierung sicher schlau genug, den Atomausstieg nicht zu stark zu polarisieren. Denn es gelingt der neuen Koalition gerade erst, das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen und die Bürger zum Mitmachen aufzufordern. In dieser Situation wäre es nicht günstig, hier eine Konfrontation zu riskieren.
INTERVIEW: MIRJAM MEINHARDT