Pflegefall Gesundheitskarte

Im April sollen die neuen Gesundheitskarten starten – als Test. Doch der Test fällt zunächst sehr bescheiden aus. Denn das weltweit größte IT-Projekt im Gesundheitswesen hat teilweise noch nicht einmal das Entwicklungsstadium verlassen

VON TARIK AHMIA

Lange hat sie sich hingeschleppt, nun soll sie zum Erfolg geschubst werden: Mit über einjähriger Verspätung geht die neue Gesundheitskarte „ab April“ in den Probebetrieb. Freiwillig hätten die beteiligten Krankenkassen, Ärzte und Apotheker wahrscheinlich nicht einmal das geschafft – eine Zwangsverordnung von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt war im September nötig, um wenigstens den Testbetrieb „im zweiten Quartal“ zu starten. Auch sie mag sich nicht auf ein genaues Startdatum festlegen. Das Projekt bedarf tatsächlich noch der technischen Entwicklung.

Denn die elektronische Patientenakte ist weit mehr als ein Stück Plastik mit Computerchip: Vor allem die Verzahnung der IT-Infrastruktur bei den Ärzten, Apothekern und Krankenkassen ist noch nicht gelöst. Obwohl der Probebetrieb demnächst beginnen soll, sind wichtige Software- und Hardwarekomponenten bisher noch nicht entwickelt, die die unterschiedlichen Systeme in den Arztpraxen und Apotheken vernetzen sollen.

Daniel Pöschkens von der Firma Gematik räumt freimütig ein, dass bis zum Probebetrieb „noch einige technische Hürden zu überwinden“ sind. Das Unternehmen wurde von den Beteiligten als Joint Venture eigens für die technische Koordinierung der Gesundheitskarte gegründet. „Im Testbetrieb befinden sich derzeit nur das Kartenterminal und die Gesundheitskarte.“ Noch in Arbeit sind die „Soft- und Hardware-Schnittstellen“, die 260 Krankenkassen, 21.000 Apotheker, 180.000 Arztpraxen verbinden sollen.

Es ist das weltweit größte IT-Gesundheitsprojekt: Die Computer-Industrie freut sich auf ein bombiges Geschäft. Die „vernetzte Medizin“ soll 1,4 Milliarden Euro kosten – mindestens. Wahrscheinlich aber dürften die Investionen viel höher liegen: Die privaten Versicherer rechnen mit 4 Milliarden Euro.

Dennoch vertrauen die Krankenkassen darauf, dass sich die Kosten amortisieren: Schon die erste Version der Gesundheitskarte soll 700 Millionen Papierrezepte ersetzen – was jährlich 300 Millionen Euro bringen soll.

Nicht so angetan wie die Krankenkassen waren Ärzte und Apotheker. Sie blockierten das Projekt lange, weil sie fürchteten, die Kosten für die neuen Computer und Lesegeräte selbst tragen zu müssen – die je nach Ausstattung zwischen 2.000 und 20.000 Euro betragen. „Das Problem ist aber gelöst. Die Ärzte werden für den Einsatz des Systems honoriert“, sagt Roland Stahl von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.

Entscheidend für den Erfolg der Gesundheitskarte sind aber die Patienten. Medizinisch relevante Daten wie die Krankengeschichte, Medikamentenverträglichkeit und Arztbriefe dürfen nur freiwillig auf der Karte gespeichert werden.

Die Daten sollen dafür sorgen, dass die Versicherten angemessene Medikamente erhalten und jederzeit ihre Krankenakte einsehen können. Gleichzeitig sollen Doppelbehandlungen vermieden werden, wovon gerade chronisch Kranke profitieren könnten. Sie haben oft mit vielen unterschiedlichen Ärzten zu tun. „Es wird oft übersehen, dass gerade chronisch Kranke eine bessere Verzahnung des Informationsaustausches wünschen“, sagt Peter Haas, Professor für medizinische Informatik an der FH Dortmund.

Doch so viele persönliche Daten auf einem Chip können brisant sein. Datenschützer wie der IT-Experte Thomas Maus haben nur ein vernichtendes Urteil für die jetzige Gesundheitskarte übrig. Er warnt vor allem davor, dass Krankenversicherungen die Daten benutzen könnten, um Gesundheitsrisiken aus der Versicherung auszuschließen.