Spuren einer Beobachtung

ANTIFA Hat der Lübecker Staatsschutz eine Recherche-Gruppe auszuspähen versucht? Peilsender am Auto einer Aktivistin entdeckt. Verfassungsschutz stieß sich wiederholt an Neonazi-Outing

VON MAGDA SCHNEIDER
UND ANDREAS SPEIT

Am Anfang steht ein Zufall: Eine Viertelstunde früher als sonst verlässt Sylvie Berg* an einem Arbeitstag im April ihr Büro, um in den Feierabend zu gehen. Als sie die Tiefgarage des Lübecker Bürogebäudes betritt, sieht sie, wie sich zwei Männer an ihrem Auto zu schaffen machen: Der eine kniet am vorderen linken Radkasten, der andere steht aufrecht, als halte er Wache. „Ich fragte sie, was sie da machen“, erzählt Berg. Sie hätten „nur mal geguckt“, habe der eine erwidert. Und der andere: „Ich will mir auch so’n Auto kaufen.“ Silvie Berg steigt ein und fährt los, informiert aber auch per Handy den Hausmeister des Gebäudes: Sie hält die beiden Männer für verhinderte Autodiebe.

Schrauben gelockert

Weil sie nachdenklich geworden sei, erzählt Berg, fuhr sie zum Haus eines Freundes, um sich das Fahrzeug doch nochmal genauer anzusehen. „Ich entdeckte, dass alle drei Schrauben an der inneren Radkappen-Abdeckung vorne links nur noch locker an der Plastik-Verkleidung hingen.“ Zusammen mit ihrem Bekannten fährt sie zu einem gemeinsamen Freund, dem sie ebenfalls von den vermeintlichen Autodieben erzählt.

Der aber wendet ein, es könnten doch auch „Zivibullen“ gewesen sein – immerhin ist Sylvie Berg ist in einer Antifa-Gruppe aktiv, die gezielt in der rechtsextremen Szene recherchiert. „Wir sind dann nach einiger Zeit noch mal zum Auto gegangen“, so Berg weiter. Die Schrauben seien „wieder fest angezogen“ gewesen. Es muss sich also erneut jemand am Auto zu schaffen gemacht haben. „Ich habe die ganze Nacht kaum geschlafen. Jedes Geräusch ließ mich hochschrecken.“

Am nächsten Morgen geht Silvie Berg im Internet dem Verdacht des Freundes nach und wird auf Anhieb fündig – auf einer Website, in der verdeckte Staatsschützer und Undercover-Ermittler in der linken Szene geoutet werden. Am gleichen Tag schreitet Berg mit Unterstützung weiterer Freunde zur Tat: Sie lockert die Schrauben am Radkasten und stößt hinter der Verkleidung auf ein schwarzes Gerät. Es wird sich als GPS-Tracker herausstellen. Solche Peilsender setzen Polizei wie auch der Verfassungsschutz ein, um Personen auf Distanz observieren zu können oder Kontakt- und Bewegungsprofile zu erstellen. Bei der Überprüfung weiterer Autos in Sylvie Bergs Umfeld deuten Spuren darauf hin, dass das Fahrzeug mindestens eines weiteren Antifa-Rechercheurs mit einem solchen Peilsender ausgespäht worden ist.

Kader geoutet

Gerade in Schleswig-Holstein haben Antifa-Initiativen immer wieder die Behörden zum Handeln bewegt, indem sie auf rechtsextreme Aktivitäten und Strukturen aufmerksam machten. So sind laut aktuellem Verfassungsschutzbericht im vergangenen Jahr verstärkt NPD-Kader geoutet worden. Vor allem aber nicht der Partei zugehörige Rechtsextreme in den Regionen Kiel, Lübeck sowie dem südlichen Schleswig-Holstein wurden demnach durch Flugblätter und öffentliche Kundgebungen am Wohnort bekannt gemacht.

Indes ist etwa der Verfassungsschutz wenig erbaut von solchem Nazi-Outing. Der Vorwurf: Die vermeintliche Aufklärung sei mit der Forderung verbunden, den Rechten „Rückhalt und Akzeptanz“ in der Gesellschaft zu entziehen – mithin „sie öffentlich zu ächten“, so die Verfassungsschützer: Derlei Aktionen reduzierten eine komplexe gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung auf ein schlichtes „Gut gegen Böse“-Denken. Aber die Geheimdienstler stoßen sich auch am Schritt vor dem Outing: an der teils länderübergreifenden Recherche. Was Menschen wie Sylvie Berg tun, erschwert – laut Verfassungsschutzbericht – „die polizeiliche Aufklärungsarbeit bei einschlägigen Straftaten“.

Bezeichnendes Schweigen

Bergs Hamburger Anwälte Britta Eder und Andreas Beuth, in deren Kanzlei der Peilsender inzwischen eingelagert ist, haben mehrere Sicherheitsbehörden in Schleswig-Holstein angeschrieben: Bis zum Freitag der vergangenen Woche sollten sie erklären, ob sie den Sender an Sylvie Bergs Auto angebracht haben und, falls ja, warum. Zudem beantragten die Anwälte Akteneinsicht.

Gemeldet hat sich einzig das Landeskriminalamt (LKA) in Kiel: Im Namen der Landespolizei teilte es mit, den Peilsender nicht installiert und auch „keine verdeckten Ermittlungsmaßnahme“ eingeleitet zu haben. Auch sei gegen Sylvie Berg kein Strafverfahren anhängig. „Bezeichnend“ findet Rechtsanwalt Beuth es, „dass die Lübecker Kripo und die Staatsschutzabteilung K5 sowie die Staatsanwaltschaft Lübeck nicht geantwortet haben.“

Der Lübecker Fall ruft Erinnerungen wach an einen ähnlichen aus dem Jahr 2007: Nach Brandschlägen auf Militäreinrichtungen ermittelte damals das Kieler LKA im Auftrag der Bundesanwaltschaft gegen Antifa-Aktivisten aus Bad Oldesloe – nach dem Strafgesetzbuch-Paragrafen 129 a, „Bildung einer terroristischen Vereinigung“. Damals fuhren die Behörden nahezu das ganze ihnen zur Verfügung stehende Repertoire auf – inklusive Handy- und Mail-Überwachung sowie Großem Lauschangriff auf Privatwohnungen. Der Bundesgerichtshof erklärte die Maßnahmen später sämtlich für rechtswidrig, das Verfahren wurde eingestellt.

*Name geändert