: Populisten und Zuschauer
DEBATTE ENERGIEWENDE Die Regierung diskutiert nur über Strompreise, die Deutschen sehen alles als Top-down-Ingenieurprojekt. Das reicht nicht
■ ist Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen. Letztes Buch: „Unter Piraten. Erkundungen in einer neuen politischen Arena“ (als Herausgeber zusammen mit Christoph Bieber, Transcript Verlag, Bielefeld 2012).
Bei der Energiewende geht es um die wohl wichtigste gesellschaftspolitische Weichenstellung seit dem Zweiten Weltkrieg. Gemessen daran lassen nicht nur Leistungsbilanz und Auftreten der Bundesregierung zu wünschen übrig, auch die deutsche Gesellschaft scheint nicht auf der Höhe der Zeit. Für den Umbau zu den erneuerbaren Energien liegt viel technisches Wissen, Gerät und Infrastruktur vor; erheblich mehr muss noch herangeschafft werden. Aber es fehlt an der politischen Führung und dem gesellschaftlichen Unterbau, um die Energiewende zu packen.
Die Angst vor dem Atom
Wenn sich eine führende Industrienation entschließt, von fossilen und nuklearen Primärenergien Abschied zu nehmen und im Lauf dieses Jahrhunderts weitestgehend auf Erneuerbare umzustellen, unternimmt sie einen atemberaubenden Paradigmenwechsel: den Abschied vom industriellen Metabolismus, wie wir ihn kannten. Der Anstoß kam aus der Anti-Atom-Bewegung der 1970er Jahre. Die Deutschen haben mehr Angst vor dem Atomtod als vor dem Klimawandel, während andernorts Atomkraftwerke noch als Mittel gegen die Erderwärmung gelten.
Weil sich bei uns die grün-alternative Bewegung auch parteipolitisch etabliert hat, unterstützten gesetzgeberische Anstöße wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) schon seit mehr als einem Jahrzehnt den allmählichen Umbau zu einem nachhaltigen Stromsystem. Die Zeit von RWE und Vattenfall scheint abgelaufen zu sein.
Auf der Habenseite der Energiewende steht, dass der rasante Atomausstieg ohne Blackout vonstattenging. Nicht mal die deutschen Stromexporte sind zurückgegangen. Industrie und Infrastruktur stellen sich langsam, aber nachhaltig auf Erneuerbare um, das Energienetz wird kommunaler. Reibungslos wird die Energiewende dennoch auch in Zukunft nicht verlaufen, bei „Grün-grün-Konflikten“ über die Infrastruktur werden Klimaschützer und Naturfreunde weiterhin aneinandergeraten.
Trotz des Umbaus bleibt Kohle der Hauptpfeiler der Energieversorgung. Und damit endet das gute Zeugnis für die Energiewende. Sie ist darüber hinaus bisher zu einseitig auf die Produktionsseite von Strom und auf energetische Sanierung fixiert, klammert die Verbraucherseite also weitgehend aus und traut sich weder an die Mobilitäts- noch an die Ernährungswende heran. Das Leitbild einer autoverliebten Gesellschaft, die zudem beim Einkaufen dem Motto „Geiz ist geil“ folgt, ist BlueMotion: Man tauscht Motoren (und Heizungen) aus, ansonsten bleibt alles beim Alten. Trotz des Durchbruchs erneuerbarer Energien vermindert sich der Ausstoß von Treibhausgasen aus Deutschland daher nicht im erforderlichen und prognostizierten Umfang.
Kein deutscher Sonderweg
Das Gelingen der Energiewende erfordert Führungsstärke der Bundes- und Landesregierungen, die das Langfristprojekt aber gerade für minimale Punktgewinne im Wahlkampf zerreden. Umweltminister Peter Altmaier (CDU), der Sachwalter dieses Jahrhundertprojektes sein will, hat sich mit der unsinnigen Fokussierung auf die Strompreise (die überwiegend aus anderen Gründen steigen) an die Spitze einer populistischen Gegenkampagne gesetzt, vom Wirtschaftsministerium unter Philipp Rösler (FDP) ganz zu schweigen.
Natürlich müssen soziale Schieflagen vermieden und Fehlkalkulationen (wie beim Emissionshandel) korrigiert werden. Doch die sozialpolitische Debatte verschiebt den Fokus von der intergenerationellen Gerechtigkeit in größeren Zeiträumen zurück auf innergesellschaftliche Centfuchserei. Es rächt sich, dass Deutschland im Fukushima-Schock nicht mit den Nachbarländern geredet und subglobale Allianzen geschmiedet hat. Beides kann noch nachgeholt werden. Es gibt keinen deutschen Sonderweg.
Die größte Bringschuld liegt bei uns: Stromverbraucher, Supermarktkunden, Autofahrer, Häuslebauer und Mieter betrachten sich bei der Energiewende offenbar als Zuschauer eines Ingenieurprojeks, das top down exekutiert werden soll. Ihr Erfolg hat aber das Zusammenwirken verschiedenster Akteure zur Voraussetzung: Gemeinsam mit Ministerien (hier vor allem: das Haus Ramsauer mit Bau, Raumplanung und Verkehr), Kommunalverwaltungen, die Anreize und Richtlinien geben, sowie Unternehmen, die Technik und Infrastruktur bereitstellen, muss die Bürgergesellschaft die Energiewende als ureigene Angelegenheit erkennen.
Umwelt- als Gesellschaftspolitik beschränkt sich nicht auf indirekte Wohlfahrtseffekte wie die Schaffung von Einkommen und Arbeitsplätzen, die Entlastung von Handelsbilanzen und die Überwindung von Energieabhängigkeit. Die Erhaltung von Ökosystemleistungen oder Natur ist für künftige Generationen eine elementare Lebensvoraussetzung, Mit dem konsequent zu Ende gedachten Vorsorgeprinzip wird eine intergenerationelle und transnationale Perspektive geschaffen, die der herrschenden Diskontierungsmentalität (Nach uns die Sintflut!) zuwiderläuft.
Sich freiwillig zwingen
Der liberale Gesellschaftsvertrag besagte, dass heute Lebende kommenden Generationen keine Vorschriften machen dürfen, weil sie deren Bedürfnisse nicht kennen und ihnen keine Optionen versperren dürfen. Das bleibt richtig. Aber angesichts der Grenzen des Erdsystems müssen sich die heute Lebenden gewissermaßen freiwillig zwingen, mögliche Bedürfnisse und Optionen der Kinder und Enkel in Rechnung zu stellen. Klimaschutz und Energiewende, ähnlich wie die Schuldenbremse, richten Gesellschaften mit anspruchsvollen Klima- und Sparzielen in bisher unbekannter Weise auf die Zukunft aus – auf 2030, 2050 und noch weiter.
Plastisch wird das nur, wenn diese Ziele in die Frage münden, wie wir morgen in Würde und im Einklang mit der Natur leben und arbeiten wollen. Es geht also um die Sozialförmigkeit neuer Technologien; die postfossile Energiewelt soll dezentraler und partizipationsfreundlicher ausfallen. Nicht rückwirkende Akzeptanzbeschaffung, sondern vorausschauende Teilhabe und Teilnahme ist der Motor einer Energiewende, die sich diesen Namen verdienen will. CLAUS LEGGEWIE