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Snobistischer Sadismus

Langes Sündenregister: Ulrich Weinzierl porträtiert den großen Ich-Verschweiger und Fin-de-Siècle-Dichter Hugo von Hofmannsthal

VON OLIVER PFOHLMANN

Seinen Freunden galt Hugo von Hofmannsthal als der vollendete „Dichter-Aristokrat“. Über das Leben des großen „Ich-Verschweigers“, wie ihn Hermann Broch einmal nannte, ist jedoch wenig bekannt. Die fleißige Hofmannsthal-Forschung übte sich bislang gerne darin, den Dichter heilig zu sprechen; eine Biografie hat sie nicht hervorgebracht. Freilich dürfte daran Hofmannsthal selbst nicht unschuldig sein. Für ihn drückte sich im Verfassen von Biografien ohnehin nichts anderes aus als die „Unfähigkeit, das rein geistige Abenteuer zu erfassen“. Potenziellen Biografen kündigte er an, vor seinem Tod Weisungen zu hinterlassen, um all die „vielen schalen und oft indiskreten Äußerungen über einen produktiven Menschen und seine Hervorbringungen, dieses verwässernde Geschwätz, zu unterdrücken, zumindest ihm möglichst die Nahrung zu entziehen durch Beiseite-Bringen der privaten Briefe und Aufzeichnungen, Erschwerung des läppischen Biographismus und aller dieser Unziemlichkeiten“.

Zum Glück für die Nachwelt konnte Hofmannsthal seine Drohung nicht verwirklichen. Ulrich Weinzierl zitiert sie denn auch gleich zu Beginn seiner Studie mit der Genugtuung eines Grabräubers, der nach getaner Arbeit von dem Fluch erzählt, der Eindringlinge hätte abschrecken sollen. Um es vorwegzunehmen: Die große Hofmannsthal-Biografie, sie steht weiterhin aus. Doch hat der Kulturkorrespondent der Welt deren Kehr- und Schattenseiten beleuchtet; er hat gewissermaßen das Sündenregister dieses großen Repräsentanten der Wiener Moderne erstellt. Drei Themen sind es, auf die sich Weinzierl, bewehrt mit Einsichten der Psychoanalyse, beschränkt: auf den Snobismus Hofmannsthals; seinen ambivalenten Umgang mit seiner jüdischen Abstammung; und den Komplex von Liebe und Freundschaft.

Ihnen, den Freunden und Bekannten Hofmannsthals, verdanken diese biografische Skizzen viel. Hemmungslos schöpft Weinzierl aus den zahlreichen Briefwechseln und Erinnerungen. Toll, wie hier mit Zitaten jongliert wird. Mehr als 900 von ihnen auf 250 Seiten kommentiert Weinzierl, der sich schon mit Büchern über Arthur Schnitzler und Alfred Polgar als ausgezeichneter Kenner der Fin-de-Siècle-Epoche präsentiert hat, mal ironisch, mal bissig, stets aber treffend. All diese Stimmen lassen ein spannend zu lesendes, lebendiges, freilich auch etwas einseitiges Porträt entstehen.

Und zwar nicht nur von Hofmannsthal, sondern auch von vielen seiner Freunde, die dem Biografen als Kontrastfiguren dienen. Da ist zum Beispiel der Dichter und Privatier Leopold von Andrian, genannt Poldy. Während Andrian unter seiner Homosexualität zwar litt, sie aber auslebte, hat der verheiratete Hofmannsthal seine homophilen Neigungen nur in sublimierter Form zugelassen – in schwärmerischen Briefen nämlich wie denen an den früh verstorbenen Seekadetten Edgar Freiherr Karg von Bebenburg. Hofmannsthal also ein zweiter Thomas Mann? Eher nicht, glaubt Weinzierl. Dazu habe Hofmannsthal, von einem frühen Eroberungsversuch Stefan Georges lebenslang traumatisiert, seine Neigungen auch vor sich selbst zu gut versteckt.

Wem die formvollendete Fassade wichtig ist, verbirgt dahinter meist umso tiefere Abgründe. Dies zeigt, meint Weinzierl, gerade der Fall Hofmannsthal. Als „Genie der Freundschaft“ bezeichnete ihn einmal Richard Alewyn; in Wahrheit besaß er viele unsympathische Eigenschaften. Das Libretto des Rosenkavaliers etwa verdankte er der Zusammenarbeit mit Harry Graf Kessler – davon, dass Hofmannsthal den Co-Autor verschwieg, hat sich ihre Freundschaft nie mehr erholt. Gerade seine engsten Freunde brüskierte Hofmannsthal regelmäßig und grundlos. Alfred Walter Heymel, den Kunstmäzen und Mitbegründer des „Insel“-Verlages, verstieß er eines Tages aus heiterem Himmel und entschuldigte sich erst an dessen Sterbebett: „Es sind wirklich Unsichtbare, die mich haben an ihm so schlimm schuldig werden lassen. Aber eines, das ist seltsamer als Alles: nur dadurch, daß ich ihm wehtat, und dadurch wie er es aufnahm, hat sein Dasein für mich Wirklichkeit bekommen – dadurch ahnte ich, daß er eine Seele hatte und daß er ein Mensch war und konnte um ihn weinen. Sie werden das nicht falsch verstehen, nichtwahr?“

Weinzierl versteht richtig und diagnostiziert „psychischen Sadismus“. Und als geradezu „unwürdig“ bezeichnet er das Verhalten des Dichters im Ersten Weltkrieg. Für viele Leser verspielte Hofmannsthal damals seinen moralischen Kredit. Denn während er bei Kriegsausbruch insgeheim Himmel und Hölle in Bewegung setzte, um von der Front zurück in die sichere Etappe versetzt zu werden, rühmte er öffentlich die allgemeine Entschlossenheit und Opferbereitschaft, ja, er spielte sogar in Briefen an seine Freunde und Freundinnen den um den Kampf Betrogenen. So kommt Weinzierls Psychogramm einer Demontage gleich.

Hofmannsthal, ein Plagiator und Sadist, ein Feigling und Snob, ein Heuchler und Kriegsgewinnler? Einmal mehr zeigt sich, dass Genies keine moralisch hoch stehenden Individuen sein müssen. Bedauerlich nur, dass Weinzierl keinen Versuch macht, vom Menschen eine Brücke zum Dichter und seinem Werk zu schlagen. Wie beide zusammenhängen, war freilich für Hofmannsthal selbst ein Rätsel: „Manchmal scheint es so paradox, daß man zugleich ein Dichter sein soll und ein Mensch, ein Zeitgenosse, verheiratet, Vater, der Herr von Nr 5 in der Badgasse, durchaus unbegreiflich erscheint es.“

Ulrich Weinzierl: „Hofmannsthal. Skizzen zu seinem Bild“. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2005, 320 Seiten, 21,50 Euro

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