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Archiv-Artikel

Oh je, die See ...

Trotz poppiger Bühne: Uraufführung von Igor Bauersimas „Oh die See“ am Schauspielhaus geht mächtig baden

Die Bühne ist ein optisches Meisterstück, in dem sich alles dreht und hebt. Aber die Songs!

Lassen Sie sich nicht von dem lumpigem Wortspiel „Oh die See“ täuschen! Das Schauspielhaus-Musical „Die Rock das Boot Show“ startet fulminant. Eine die ganze Bühne überspannende Videoleinwand wird in blau getaucht. Jana Schulz schreitet in roten Stiefeln und einem weißen Röckchen nach vorn. Singt.

Die Musik breitet sofort einen Teppich der Wonne aus. Rockig, aber nicht zu sehr. Ein bisschen Musical, aber nicht zu viel. Zärtlich wird das Publikum mit Disko-Tanzlicht angefunkt. Der erste Reflex also: Hirn ausschalten, Füße hoch, den Abend genießen, aaahh!

Die Story geht so: Odessa (Jana Schulz) und ihr Mann Hugo (Sören Wunderlich) haben gerade in Hamburg eine Bar eröffnet, als Hugo gesteht, dass er noch mal für 14 Tage anheuern müsse. Ein Vertrag, aus dem er nicht rauskomme.

Nach drei Wochen kommt eine Postkarte von Hugo, auch die nächsten zehn Jahre kommen nur Karten von Hugo. Daheim in Hamburg scharwenzeln derweil die Verehrer um Odessa herum und der finstere „Ba-ba-ba Baron“ (Songtext) droht sogar, Odessa die Bar zu entreißen. Feindliche Übernahme, Mannesmann. Aber Hugo taucht im rettenden Moment wieder auf!

Da sind die ersten zwanzig Minuten verstrichen – die zwanzig spannendsten wohlgemerkt! Denn wenn Igor Bauersima, Autor und Regisseur des Stückes, über die nächste Stunde Hugos Schicksal entfaltet, dann geht ihm ganz schnell die Puste aus.

Zwar verbindet er die Motive aus der „Odyssee“ unverkrampft mit seinen Bühnenideen. Captain Kirk als Cowgirl etwa, das seine männlichen Opfer in kleine Wesen verwandelt, die wie Muppets über den Boden flitzen. Die Bühne lebt in diesem Moment! Sie ist ein optisches Meisterstück, in dem sich alles dreht und hebt und in Bewegung ist und poppige Videoprojektionen die Kulisse ersetzen.

Aber die Songs! Die tragenden Säulen des Stückes! Mal erklingt Bossa Nova, mal Reggae, mal Punk. Warum eigentlich? Nur damit die Lautstärke das Publikum wach hält? Mit platten Texten, in denen „Friede“ auf „Liebe“ folgt? Da helfen auch Ausrufezeichen in jeder Zeile nicht.

Denn eigentlich wissen wir bereits, was passiert: der Mann schafft es, er kommt zurück nach Hamburg. Warum quält uns Bauersima aber durch zehn Jahre Nebengeschichte, wenn der Spannungsfaden längst zu Boden gefallen ist?

Um den Charakterwandel Hugos auszudeuten, sicher nicht. Ein Mann, der zehn Jahre (!) durch die Welt irrt und all seine Gefährten verliert – dem 42-jährigen Schweizer fällt dazu nichts ein. Nicht zur Sehnsuchtsfülle der Menschen, noch zu den Zwängen, denen sich die Erfüllung beugen muss. Igor Bauersimas Odysseus/Hugo hätte gut und gerne zu Fuß von Kalypso nach Hamburg zurück waten können. So seicht sind die Gewässer, in denen er sich bewegt. Christian T. Schön

Nächste Aufführungen: 12., 20. & 29. Januar, jeweils 20 Uhr, Deutsches Schauspielhaus, Kirchenallee 39