: „Wir sind nicht mehr die führende Kunstnation“
KUNST Ein internationales Künstlerquartett wird Deutschland auf der Biennale in Venedig vertreten. Ein Gespräch mit der Kuratorin Susanne Gaensheimer
■ geb. 1967, ist die Direktorin des Museums für Moderne Kunst in Frankfurt a. M. Schon 2011 kuratierte sie den deutschen Pavillon der Biennale, der ursprünglich von Christoph Schlingensief gestaltet werden sollte.
INTERVIEW CARMELA THIELE
Am 1. Juni startet die 55. Biennale von Venedig, nach wie vor die größte und wichtigste Kunstausstellung weltweit. 88 Länder beteiligen sich dieses Jahr, zum ersten Mal dabei sind Angola, die Bahamas, das Königreich Bahrain, die Elfenbeinküste, die Republik Kosovo, Kuwait, die Malediven, Paraguay, Tuvalu und der Vatikan. In Deutschland sind die Blicke auf Susanne Gaensheimer gerichtet, wie 2011 die Kuratorin des deutschen Pavillons. Ihre Entscheidung, Deutschland als Ort internationaler Kunstproduktion darzustellen und sich mit dem transnationalen Künstlerquartett Romuald Karmarkar, Ai Weiwei, Santu Mokufeng und Dayanita Singh in Venedig zu präsentieren, wurde mit Skepsis aufgenommen. Auch die Idee, dass die Künstler des deutschen Pavillons im französischen Pavillon ausstellen und umgekehrt der albanische Künstler Anri Sala als Repräsentant des französischen Pavillons im deutschen Haus, stieß bei Bekanntgabe im November 2012 bei manchem Beobachter auf Unverständnis. Im Gespräch mit der sonntaz erklärt Susanne Gaensheimer ihre Beweggründe.
sonntaz: Frau Gaensheimer, wie sind Sie zu dem transnationalen Ansatz gekommen?
Susanne Gaensheimer: Das ist gar nicht so grundsätzlich neu. In der Geschichte der Biennale hat es das immer mal wieder gegeben, dass bestimmte Länder in ihre Pavillons Künstler aus anderen Ländern eingeladen haben. Wenn Sie sich zum Beispiel an den Pavillon von Klaus Bussmann erinnern, der hatte Nam June Paik und Hans Haacke eingeladen. Nam June Paik ist Koreaner, und Hans Haacke hatte seine gesamte Karriere in Amerika zugebracht, ist also eigentlich ein amerikanischer Künstler. Das erscheint jetzt vielleicht als ein extremer Schritt, ist es aber im Grunde gar nicht.
Der Pavillontausch mit Frankreich wirkt auf den ersten Blick unmotiviert. Was sind Ihre Gründe?
Es gab für mich zwei Anstöße, den Weg so zu gehen. Der eine Anstoß ging aus von den auswärtigen Ämtern der Länder Frankreich und Deutschland. Die hatten ja schon beim letzten Mal, als ich mit Christoph Schlingensief zusammengearbeitet habe, vorgeschlagen, die Pavillons zu tauschen. In diesem Jahr haben sich die Kuratorin des französischen Pavillons und ich zusammengetan und überlegt, ob wir einen solchen Tausch jetzt einmal machen wollen. Und der zweite und wesentlichere Anstoß war, dass die Künstler das auch gut und richtig fanden, einfach deshalb, weil eine solche Form der internationalen Zusammenarbeit für sie und natürlich auch für uns eine Selbstverständlichkeit ist in unserer Alltags-, aber auch in unserer Arbeitsrealität. Das war das Entscheidende, dass die Künstler das auch interessiert hat. Außerdem jährt sich dieses Jahr ja der Élysée-Vertrag, und ich selbst finde den als den Ursprung der europäischen Zusammenarbeit sehr wichtig. Aber im Vordergrund steht, dass die Künstler das machen wollten.
Worin ist Ihr Beharren auf der Internationalität des deutschen Beitrags begründet?
Für mich kam hinzu, dass in meiner Arbeit mit Christoph Schlingensief 2011 und dem Projekt, das er für den deutschen Pavillon noch vor seinem Tod geplant hatte und das wir dann ja nicht mehr realisieren konnten, die Frage nach der vermeintlichen Eindeutigkeit nationaler Identität eine zentrale Rolle gespielt hat. Wir haben uns intensiv mit diesem Thema beschäftigt und sind da eigentlich schon einen großen Schritt gegangen. Die Erfahrungen, die Schlingensief in Afrika gemacht hat, hätten eine wichtige Rolle gespielt und wären zusammen mit Elementen seiner Filme, Opern und Theaterproduktionen in das Projekt eingeflossen. Er hat sich schon immer damit beschäftigt, was „Deutschsein“ eigentlich heißt, ob es so etwas überhaupt gibt. Er hätte auch den Weltausstellungscharakter der Biennale an sich thematisiert und in Anspielung an die Kolonialausstellungen des letzten Jahrhunderts eine Art von Menschenzoo kreiert. Alles Dinge, mit denen er die Bedeutung nationaler Repräsentation hinterfragt hätte. Diese Zusammenarbeit war für mich ein wichtiger Schritt in meiner Beschäftigung mit dem Pavillon, sodass ich daran anknüpfen wollte.
Welche Beziehung haben die von Ihnen gezeigten Künstler zu Deutschland?
Romuald Karmakar ist in Wiesbaden geboren. Er ist ein Künstler, der sich über fast drei Jahrzehnte hinweg mit deutschen Themen beschäftigt hat. Er ist geradezu ein paradigmatischer deutscher Künstler, wenn auch aus einer kritischen Perspektive. Auch Ai Weiwei, Santu Mokufeng und Dayanita Singh haben einen festen Bezugspunkt in Deutschland, arbeiten mit deutschen Institutionen, hatten ihre wichtigsten Ausstellungen hier, haben hier Lehraufträge oder arbeiten mit deutschen Verlagen. Sie sind Teil des Kunstschaffens auch in diesem Land.
Sollten die Nationen-Pavillons abgeschafft werden, wie es seit den 1960ern gefordert wird?
Die Welt hat sich in den etwa hundert Jahren, die es die Biennale gibt, fundamental verändert. Was früher eine Nation war und welche Rolle sie im Gesamtgefüge der Welt gespielt hat, war etwas anderes als heute. Das kann man auch daran sehen, dass heute mehr als achtzig Länder in Venedig vertreten sind, die suchen sich ihre Pavillons irgendwo im Stadtraum. Auch das Verhältnis von Deutschland zur Welt hat sich verändert. Wir sind nicht mehr die führende Kunstnation, die Behauptung irgendwelcher sich ablösender Zentren der Weltkunstproduktion – sagen wir mal Paris, New York, Berlin oder Los Angeles – ist Vergangenheit. Indien, Lateinamerika, China haben florierende Kunstszenen und Kunstmärkte. Da spielen wir gar keine Rolle mehr. Das alles fließt natürlich jetzt auch ein in die Biennale. Das ist der interessante Punkt, dass wir an den Entwicklungen in Venedig auch sehen können, wie sich die Welt verändert hat. Ich finde nicht, dass die Länderpavillons grundsätzlich keinen Sinn mehr haben. Vielmehr geht es um die Frage, wie sich die einzelnen Länder repräsentieren. In welcher Form? Wenn Polen sich 2011 entscheidet, eine israelische Künstlerin einzuladen, dann ist das ein interessanter Aspekt dazu, wie sich Polen heute darstellt über die Kunst. Ich finde, es geht darum, was wir ablesen können, an den Präsentationen der einzelnen Länder, an der Form, in der sie sich in Venedig zeigen.
Wie sieht für Sie die Biennale der Zukunft aus?
Ich glaube, dass wir jetzt schon mittendrin sind in der Biennale der Zukunft, denn ein wesentlicher Punkt der Gegenwart ist ja die totale Internationalisierung, und in Venedig sind inzwischen Länder aus allen Teilen der Welt präsent. Das wird sich wohl noch eine Weile so weiterentwickeln. Was aber bald Konsequenzen haben wird, ist die wirtschaftliche Lage der europäischen Länder. Bis vor Kurzem war es noch selbstverständlich, für eine Party in Venedig 100.000 Euro oder eine halbe Million auszugeben, manchmal war das sogar mehr als das, was für die Kunstproduktion ausgegeben wurde. Da ändern sich momentan die Vorzeichen: Wir haben in diesem und im vergangenen Jahr wesentlich mehr Aufmerksamkeit auf die Ausstellung gerichtet. Das wird bei den anderen Ländern auch so sein. Diese Entwicklungen machen mich hoffnungsfroh, zum einen, dass die Biennale immer internationaler wird, und zum anderen, dass vielleicht der Hype weniger wird und die Kunst mehr in den Vordergrund rückt.