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: Einmal fühlen wie Usain Bolt

LAUFEN II Rund 7.000 Läufer kommen zu Berlins ältestem City-Lauf, dem Big 25. Die Kulisse im Olympiastadion ist grandios, für Rekorde ist es aber zu warm

„So etwas vergisst du nicht“, hatten Bekannte gesagt

Das Haus des RBB mit seinen dunkelroten Backsteinen. Noch knapp vier Kilometer. Und immer weiter bergan. Berlin ist nicht flach, Berlin ist hügelig, ach was: bergig. 21 Kilometer sind fast geschafft, ein Halbmarathon wäre jetzt vorbei. Doch die Masurenallee nimmt schier kein Ende. Ab Theodor-Heuss-Platz wird es flacher, das Olympiastadion kommt in den Blick. Scharf abbiegen, plötzlich abwärts in die Katakomben des Stadions. Und dann ist er plötzlich da, der Moment, der den 25-Kilometer-Lauf von Berlin – früher Franzosenlauf genannt, heute „Big 25“ – so besonders macht: der Einlauf auf die blaue Tartanbahn des Olympiastadions, der Boden, auf dem Usain Bolt 2009 bei der Weltmeisterschaft zu Gold lief.

Es ist ein unfassbarer Moment: Ohrenbetäubendes Samba-Trommeln hallt durch den Untergrund des Stadions, so laut, dass die Trommler Ohrenschützer wie auf dem Bau tragen. Licht dringt durch einen Durchlass, dazu blauer Himmel und die Stimme des Stadionsprechers.

Berlins Laufwettbewerbe haben so manche Highlights, vor allem beim Marathon mit den Stimmungshöhepunkten am Kottbusser Tor in Kreuzberg und dem Zieleinlauf hinterm Brandenburger Tor. Bei der City-Night am Ku’damm wiederum kocht die Luft. Der 25-Kilometer-Lauf führt an viel weniger Zuschauern vorbei und steigt auf den letzten Kilometer happig an. Aber dieser Einlauf ins Stadion, das kompensiert eben alles. „So etwas vergisst du nicht“, hatten Bekannte erzählt.

Weg ist in diesem Moment der Begeisterung auch der Gedanke an den Anschlag in Boston, zu dem es kurz vor dem Start eine Schweigeminute gibt. Es ist das erste große Laufwochenende in Berlin seit dem Attentat, tags zuvor startete im Tiergarten schon der Frauenlauf. Es ist kein Marathon und es sind mit rund 7.500 Läufern auch deutlich weniger Teilnehmer als auf der 42,195-km-Distanz, die Ende September wieder ansteht. Und doch stehen am Start alle dicht gedrängt vor dem Olympiastadion, ein ideales Anschlagsziel. Wenn die herrenlose Tasche da vorne nun …

Gut, dass der einzige Knall der Startschuss ist und dass es jetzt losgeht. Gut auch, dass Laufen so einfach ist, keine komplexen Bewegungen hat, auch wenn man mit Pulsuhren und GPS-Geräten eine Wissenschaft daraus machen kann. Einfach einen Fuß vor den anderen setzen – da kann der Kopf noch so voll sein. Bald werden die kleinen, aber realen Probleme konkret, die bei jedem Lauf auftauchen: Ist das etwa schon eine Blase? Macht der Muskel zu? Wann kommt endlich der Wasserstand? Und warum muss das heute so warm sein mit 20 Grad? Optimal wären 14, 15. Schier banale Dinge können einen Läufer auf 25 Kilometern beschäftigen, gerade beim ersten Wettkampfstart der Saison.

Es geht vom Olympischen zum Theodor-Heuss-Platz und dann schnurgerade rund acht Kilometer lang über den Großen Stern und durchs Brandenburger Tor zum Gendarmenmarkt und über Potsdamer Platz und Kurfürstendamm zurück.

Ursprünglich wurde der Marathonlauf jedenfalls von den französischen Besatzern West-Berlins organisiert. Als er 1981 im damaligen französischen Sektor startete, war es der erste City-Lauf der Stadt – den Marathon gab es zwar schon seit 1974, aber bloß im und am Grundwald. Erst unter dem Eindruck des Franzosenlaufs konnte der Marathon in die West-Berliner Innenstadt umziehen.

Im Olympiastadion sind an diesem sonnigen Sonntagvormittag natürlich wieder die Afrikaner die Ersten, für neue Berliner Weltrekorde sei es zu warm, heißt es nachher. Gut, dass das auch die Spitzenleute merken. STEFAN ALBERTI