Brettsegeln und Rollbrettfahren

Funsport, ausgerechnet in der zwangskollektivierten DDR: Partei und Stasi betrachteten Surfer und Skateboarder oft als westliche Individualisten. Angesagt waren auch Kletterer und Abenteuerreisende: „Das war wie Punkrock. Man war anders“

VON HOLGER ELFES

„Schon das Wort Fun klingt nicht unbedingt nach DDR“, meint Kai Reinhart. Vielmehr waren Organisiertheit und Disziplin wichtig. Was soll also eine Dissertation zum Thema „Funsportarten in der DDR“? Der Doktorand am Fachbereich Sportwissenschaft der Uni Münster hat in mühsamer Recherche, bei der er rund 50 Zeitzeugen befragte, herausgefunden, dass auch zu DDR-Zeiten Szenen existierten, die unabhängig vom staatlich überwachten Sportsystem ihren Lebenstraum auslebten.

Ob Windsurfen oder Skateboarden – Funsportarten waren in der DDR nicht gerne gesehen. Deshalb wurde versucht, sie als „Stehbrett-Segeln“ oder „Rollbrett-Fahren“ zumindest einzudeutschen und so in das System zu integrieren. Der DDR-Slogan „Brettsegeln – ein Sport, der individuelles Können, aber nicht unbedingt Individualisten verlangt“ verdeutlicht das Dilemma dieser Versuche. Denn ebenso wie im Westen waren die Trendsportarten nicht einfach nur körperliche Bewegung, sondern Ausdruck eines Lebensgefühls. Eines Lebensgefühls, das nicht unbedingt sozialistischen Idealen entsprach. „Bei meinen Recherchen hat sich gezeigt, dass sich die meisten Funsportler schon in der DDR deutlich vom Durchschnittsbürger abhoben und auch heute oftmals kein typisch bürgerliches Leben führen“, resümiert Reinhart.

Während die Kletterer eine vorsozialistische Tradition aufzuweisen hatten, in kleinen Clubs gut organisiert waren, aber seit Ende der 40er Jahre gezwungen wurden, sich den staatlichen Betriebssportgemeinschaften (BSG) anzuschließen, entwickelte sich die Skateboard-Szene abseits solcher Bevormundung. Jugendliche schraubten Bretter auf alte Rollschuhe. Die ersten „richtigen“ Skateboards kamen Ende der 70er Jahre in Westpaketen in die DDR. „Die Leute wussten zuerst überhaupt nicht, was damit alles geht“, berichtet Reinhart. Dass eine ganze Sportart und ein eigener Lebensstil dahinter steht, sei eine Erkenntnis, die erst langsam im Laufe der 80er Jahre ankam und begeistert aufgenommen wurde. Christian Rothenhagen aus Ost-Berlin fasst zusammen: „Das hatte was von Punkrock. Man war halt anders.“

Kurz vor der Wende kam sogar noch das einzige Skateboard aus DDR-Fabrikation auf den Markt. „Germina Speeder“ hieß das „Rollbrett“, wurde von den Skatern allerdings kaum ernst genommen. Das Deck wurde abgebaut und weggeschmissen, die Achsen und Räder für die in Eigenbau gebastelten Skateboards aus Backbrettern wieder verwendet. Man habe damals mindestens so viel an den Brettern geschraubt, wie man damit gefahren sei, erinnern sich Zeitzeugen. Liebevoll wurden Logos und Aufkleber nachgemalt, um den westlichen Vorbildern nachzueifern. Die größte Skater-Szene gab es in Ost-Berlin. Eines ihrer Mitglieder, John Haak, besaß einen finnischen Pass und konnte ungehindert nach West-Berlin fahren. Dort sammelte er in Skateboard-Läden altes Material ein, um es in Ost-Berlin zu verteilen. „Es gab damals so eine Art ,Altkleider-Sammlung‘, Kartons, in denen die West-Berliner Skater für ihre ostdeutschen Kollegen altes Material sammelten“, berichtet Reinhart. Die standesgemäße Kleidung wurde selbst geschneidert und im westlichen Stil bemalt. Teilweise, so berichten ehemalige Skater, habe es Probleme mit der Polizei gegeben. „Aber das gibt es im Westen natürlich auch, wenn beispielsweise öffentliche Plätze zu Skaterbahnen umfunktioniert werden“, so Reinhart. Ansonsten blieben die Skater relativ unbehelligt, wenn sie nicht gerade eine inoffizielle DDR-Meisterschaft auch mit Teilnehmern aus dem Westen organisierten wie 1988 in Ost-Berlin. „Der Staat wusste einfach nicht, wie er mit dieser jungen Szene umgehen sollte“, vermutet der Sporthistoriker.

Anders war das bei den Extrem-Kletterern. Die Sächsische Schweiz bei Dresden war ihr bevorzugtes Revier. Hier lebten sie im Sommer mitunter wochenlang in Hütten oder den so genannten „Boofen“ – behaglich gemachten Höhlen im Elbsandstein. Falk Schelzel, ein Spitzenkletterer der 70er und 80er Jahre, erinnert sich: „Man sollte schon noch ein Arbeitsverhältnis nachweisen, damit einem nicht irgendetwas untergeschoben werden konnte wie asozialer Lebenswandel. Ich war als Grabpfleger auf dem Friedhof als Alibi. Da war man halt drei Tage die Woche, aber man hatte seine Ruhe und den Rest hat man in der Sächsischen Schweiz gelebt.“ Dort sei gelegentlich auch mal ein Auto der Stasi gesichtet worden. „Es gab echte Aussteigernaturen in der Szene, die nur für das Klettern gelebt haben und sich innerlich völlig aus der DDR verabschiedet hatten.“

Eine weitere DDR-typische „Funsportart“ nahm nach 1989 ein abruptes Ende: Die bunte Szene der Abenteuer-Touristen. Besonders aktiv war eine kleine Gruppe von Leuten rund um Jena, die sich „UDFler“ („Unerkannt durch Freundesland“) nannten und sich einen Sport daraus machten, ohne Ausweis, aber dafür mit schlitzohrigen Ausreden und gefälschten Papieren ins Ausland zu reisen. Mit selbst gezeichneten Karten, die auf eigenen Erfahrungen und zum Teil auf Material aus den 20er Jahren beruhten, ging es z.B. in den Kaukasus, ins Pamir, an die Behringstraße oder ins gesperrte Königsberg. Karsten König und Reinhard Tauchnitz schafften es im Sommer 1990 mit minimaler Ausstattung als erste und letzte DDRler sogar auf einen 8000er im Himalaja. Zunächst als spektakuläre Flucht geplant, konnten die beiden in ein anderes Deutschland zurückkehren.