Nach Billigflaggen drohen Billighäfen

Europaweit haben rund 40.000 Hafenarbeiter gestreikt. Sie protestierten gegen eine neue EU-Richtlinie, die den Wettbewerb verschärfen will. Auch die Bundesregierung ist dagegen. Nächste Woche entscheidet EU-Parlament. Der Ausgang gilt als offen

aus Hamburg, Bremerhaven, Stockholm K. v. APPEN,
C. JAKOB UND R. WOLFF

Der Hamburger Hafen stand gestern still: Die großen Containerbrücken sind demonstrativ hochgeklappt – bei der stadteigenen Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) genauso wie beim privaten Konkurrenten Eurogate. Die Liegeplätze an den Kais sind weitgehend leer. Ruhe herrscht auch bei den meisten Umschlagsbetrieben. Viele Schiffe haben vor der Elbmündung die Fahrt gedrosselt oder liegen wartend auf Reede.

In Bremerhaven das gleiche Bild: 1.800 Beschäftigte der bremischen Hafengesellschaften legten von 6 bis 24 Uhr die Arbeit nieder, sämtliche Hafenanlagen standen still. Die Lotsen auf der Weser beteiligten sich von 12 bis 15 Uhr am Streik. 12 Containerschiffe und 4 Autotransporter konnten daher nicht gelöscht werden.

Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di hatte in Deutschland zu diesem Streiktag aufgerufen. Dem folgten etwa 4.500 Hafenarbeiter. Europaweit sollen sich in zwölf Ländern rund 40.000 Personen an der Aktion beteiligt haben, die von der Europäischen Transportarbeiter-Föderation (EFT) koordiniert wurde. In der nächsten Woche sollen dann Streiks folgen, die unter der Regie des International Dockworkers Council (IDC) stattfinden.

Der Protest richtet sich gegen eine neue Direktive der EU-Kommission – die so genannte „Port Package II“-Richtlinie. Sie sieht vor, dass Schiffsmannschaften künftig selbst ihre Fracht löschen können – bisher ist dies ein Monopol der Hafenbetriebe vor Ort. Außerdem sollen Reeder eigene Abfertigungsanlagen betreiben können. Die Gewerkschaften fürchten Lohndumping: Tausende von qualifizierten Arbeitsplätzen würden verloren gehen. Den Billigflaggen würden nun die Billighäfen folgen.

Ein weiterer Einschnitt: Die Konzessionen für Lotsen- und Schleppdienste sowie für die Kaianlagen sollen verkürzt und öfter ausgeschrieben werden. Mit diesen Maßnahmen will die EU-Kommission den Wettbewerb in den Häfen verstärken.

Doch dieses Bemühen findet kaum Unterstützer: Nicht nur die Arbeiter, auch die Hafenbetriebe und die Bundesregierung lehnen die EU-Vorlage ab. SPD-Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee befand, die Richtlinie schade dem Standort Europa. Das Kernargument der Gegner: Es gebe schon viel zu viel Wettbewerb in Europa. Denn in keiner anderen Weltregion drängen sich so viele Häfen. Daher würden etwa in Asien die Gebühren weitaus höher liegen. Überhaupt Asien: In den europäischen Häfen fürchtet man, dass finanzstarke asiatische Multis ins Geschäft einsteigen könnten, wenn das Monopol der jetzigen Hafenbetrieber fällt.

Der Bremer CDU-Bundestagsabgeordnete Beckmeyer forderte, die Richtlinie „ins tiefste Hafenbecken“ zu kippen. Der schleswig-holsteinischer SPD-Europaabgeordnete Willy Piecyk rief den Hafenarbeitern in Hamburg zu, dass die Fraktion der Sozialdemokraten und Sozialisten im EU-Parlament das „Port Package-II-Paket versenken“ werde.

Im EU-Parlament steht die Vorlage der EU-Kommission nächste Woche zur Abstimmung an. Der Ausgang im Plenum gilt als völlig offen. Allerdings hat sich der zuständige Transportausschuss bereits geäußert – ablehnend. Das hat Tradition: Bereits 2003 hat die EU-Kommission versucht, ein „Port Package I“ durchs Parlament zu bringen. Ohne Erfolg. Nach den Wahlen zum EU-Parlament von 2004 hoffte die Kommission nun, ihre nur minimal veränderte zweite Direktive durchzubringen.