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Archiv-Artikel

Am Ende droht die Todesstrafe

USA Der 52-jährige, der in Cleveland drei Frauen rund zehn Jahre eingesperrt hat, soll wegen Vergewaltigung, Kidnapping und Mord an Ungeborenen angeklagt werden

Die Frauen haben berichtet, dass sie am Jahrestag ihrer Entführung mit Castro Kuchen essen mussten

AUS WASHINGTON DOROTHEA HAHN

Vier Tage nachdem Amanda Berry es geschafft hat, sich, ihre Tochter und zwei andere Frauen aus dem „Haus des Horrors“ an der Seymour Avenue in Cleveland zu befreien, bereitet die Justiz einen Rachefeldzug vor. Dem 52-jährigen Ariel Castro, der die Gewalttaten begangen haben soll, drohen „Hunderte, wenn nicht Tausende“ von Anklagepunkten hat Staatsanwalt Timothy McGinty angekündigt. Am Ende könnte die Todesstrafe stehen.

Letzteres nicht wegen der Verbrechen an den Frauen, sondern weil Castro – mit Aushungern, Schlägen und Tritten – mindestens fünf Schwangerschaften einer seiner Gefangenen beendet haben soll. Auf solch „schwere Morde“ steht in Ohio die Todesstrafe, erklärte der Staatsanwalt. Eine Schwangerschaft ließ Castro zu. Wie die Polizei am Freitag bekannt gab, ist er der leibliche Vater der sechsjährigen Tochter von Amanda Berry.

Bereits am Donnerstag ist gegen Castro Anklage in sieben Punkten erhoben worden – dreimal wegen Vergewaltigungen, viermal wegen Kidnapping. Während der Verlesung stand er mit gefesselten Händen und mit auf den Boden gesenktem Blick wie ein Unbeteiligter im Raum.

Die Ermittler haben bei der Durchsuchung seines Hauses ein Schreiben gefunden, das sich wie ein Bekennerschreiben liest. Darin schildert er seine eigene zwanghafte und gewalttätige Sexualität, sagt, dass er als Kind selbst misshandelt worden sei, und macht zugleich seine Opfer verantwortlich, weil sie zu ihm ins Auto gestiegen seien. Er schreibt auch, dass sein Vermögen nach seinem Tod an seine Opfer gehen soll. Ob der im November 2012 entlassene ehemalige Schulbusfahrer überhaupt etwas zu vererben hat, ist unklar. Er ist beim Finanzamt mit mehreren tausend Dollar verschuldet, und sein Haus war für eine Zwangsräumung vorgesehen.

Fenster sind verrammelt

Vor dem „Haus des Horrors“, wie es jetzt in zahlreichen Medien genannt wir, weht eine Fahne von Puerto-Rico, der Heimat der Familie Castro. Das Haust steht in einem vor allem von Latinos besiedelten Arbeiterviertel. Auf Luftaufnahmen sieht es aus, als könnte man mit dem ausgestreckten Arm von einem Fenster des Hauses die Fassade des Nachbarhauses berühren. Aber die meisten Fenster sind mit Holzlatten verrammelt. Die wenigen Besucher, die in den vergangenen Jahren im Eingangsbereich waren, sahen Vorhängeschlösser an allen Türen.

Nachbarn auf der Straße kannten Castro als Salsa-Musikanten und als Teilnehmer von Barbecues. Er galt als freundlicher Mann. Dass er seine frühere Ehefrau, die in den 90er Jahren aus dem Haus in eine Frauenzuflucht floh, mehrmals krankenhausreif geschlagen hatte, lag lange zurück. In den vergangenen Jahren hat Castro immer wieder Suchposter mit Fotos der in seinem Stadtteil verschwundenen Mädchen verteilt und hat bei Gedenkveranstaltungen für sie aufgespielt.

Bei einer solchen Gelegenheit hat er auch Nancy Ruiz umarmt und ihr sein Mitgefühl versichert. Damals war ihre Tochter Gina DeJesus bereits seit Jahren seine Gefangene. Wie die anderen Frauen war sie zunächst in dem feuchten, niedrigen Keller eingesperrt. Später in getrennten Räumen in den oberen Stockwerken. Bei der Durchsuchung fanden die Ermittler dort Ketten, Fesseln und Knebel. Die Frauen haben berichtet, dass sie am Jahrestag ihrer Entführung mit Castro Kuchen essen mussten.

Am Montag hatte Castro seine Haustür nicht so fest verriegelt wie in den vorangegangenen zwölf Jahren. Das war die Gelegenheit, die Amanda Berry genutzt hat, um Passanten auf der Straße um Hilfe zu rufen. Zwei Männer – ein Afroamerikaner und ein Mann aus der Dominikanischen Republik – kamen und traten die Tür ein.

Berry war 2003 im Alter von 16 spurlos verschwunden. Ihre Tochter kam in der Gefangenschaft zur Welt. Gina DeJesus war 2004 im Alter von 13 spurlos verschwunden, Michele Knight im Jahr 2002. Sie war damals 20. Knigth soll infolge von Castros Brutalitäten mindestens fünf Fehlgeburten erlitten haben. Während die beiden jüngeren Frauen zu ihren Familien zurückgekehrt sind, war sie auch am Freitag noch im Krankenhaus.

Familien sammelten Geld

Die Frauen waren alle auf derselben Straße im Herzen von Cleveland, wenige Meilen von dem Ort ihrer Gefangenschaft, verschwunden. Die Angehörigen der beiden Jüngeren, die immer geglaubt haben, dass Gina und Amanda noch leben, sammelten mehrmals Geld, und baten die Polizei immer wieder um neue Suchaktionen. Michele Knight hingegen war isolierter. Weil sie bei ihrem Verschwinden bereits 20 war, haben die Behörden in Ohio sie nie auf die Vermisstenliste gesetzt. Mit ihrer Familie hatte es sie vor ihrem Verschwinden Spannungen gegeben.

Mehrfach im Verlauf des vergangenen Jahrzehntes vermuteten private Detektive einen Zusammenhang zwischen den drei Entführungen. Mehrfach hatte die Polizei auch wegen kleinerer Verkehrsdelikte Kontakt mit Castro. Nachdem die Frauen am Montag in die Freiheit zurückgekehrt sind, berichten vereinzelt Nachbarn davon, dass sie bei der Polizei wegen verdächtiger Dinge angerufen hätten: Einmal hatte jemand lautes Hämmern aus dem Haus gehört. Einmal hat jemand eine unbekleidete Frau im Garten gesehen. Nach Auskunft von Polizeisprechern geht darüber nichts aus den Akten hervor.