Die Berliner Seele brennt

Schlechte Laune in der Hauptstadt: Die Boulevardtheater am Ku’damm sind gefährdet

Berlin steht Kopf. Zwei Theater sollen verschwinden: die Komödie und das Theater am Kurfürstendamm. Die Boulevardzeitungen überschlagen sich in Sorge ums bedrohte Kulturgut. Auch durch die Feuilletons der ansässigen Qualitätszeitungen geht ein Ruck – auch wenn sie sonst die beiden privat geführten Boulevardtheater am Berliner Kurfürstendamm naserümpfend betrachtet haben.

Dabei hat kein Geringerer als Max Reinhardt die Bühnen gegründet – in den Zwanzigerjahren, als der Kurfürstendamm noch Berlins Broadway war. Anfang der Siebziger wurden die Traditionsbühnen in eine der größten Charlottenburger Bausünden, in das Ku’damm-Karree, eingemauert und setzten trotzdem unbeirrt ihren Spielbetrieb fort, ohne Berlins Kulturetats je mit einem Cent zu belasten. Jetzt droht der Abriss. Wenn nichts passiert, ist am 31. Dezember 2006 Schluss.

Im Hintergrund geht es um Immobilien. Das unrentable Karree soll vom Eigentümer DB Real Estate, einem Immobilienfonds der Deutschen Bank, zur Shoppingmall umgebaut werden, dabei sind die Theater im Weg. Deshalb eilte jetzt sogar der Regierende Bürgermeister zum Solidaritätstermin in die bedrohten Häuser, die seit über 40 Jahren so etwas wie das Zentrum der Westberliner Volksseele sind. Hier spielten Harald Juhnke, Günter Pfitzmann, Brigitte Mira. Auch die neue deutsche Comedyliga ist längst mit Boulevardproduktionen vertreten, zum Beispiel Bastian Pastewka in Kristof Magnussons Stück „Männerhort“.

Doch die Ku’dammbühnen wären nicht die ersten Theater, die verschwinden. Wieso regt sich die Stadt plötzlich so auf? Es scheint, als sei eine Reizschwelle überschritten. Seit 15 Jahren befindet sich das Nachkriegsberlin in Ost und West in Abwicklung. Institutionen und Gebäude verschwinden für Macht- und Konsumzentren, und die Lokalpolitik guckt atemlos zu. Nun ist sie aufgewacht und entdeckt die Volkskultur als Balsam für die im Hauptstadtwahn des vergangenen Jahrzehnts verunsicherte Berliner Seele. Das Berlin jenseits der schicken Mitte will nicht wie Bonn werden.

Vielleicht sind also die Ku’dammbühnen doch zu retten. Wowereit hat die Angelegenheit zur Chefsache erklärt und an Bankchef Josef Ackermann geschrieben. Der will sich vielleicht kein weiteres Imageproblem mehr einhandeln und hat gestern schon Gespräche angeboten. Im Übrigen könnte die Bank das unrentable Ku’damm-Karree unter „Peanuts“ verbuchen.

ESTHER SLEVOGT