Das Haus der Regenwürmer

Großbritannien will Darwins Haus zum Weltkulturdenkmal erklären – als Wiege der Evolutionstheorie. Dieser Begründung muss widersprochen werden

von CORD RIECHELMANN

Alle wachen Weltgeister kennen die Frage: Wie entsteht eine Theorie? Die britische Kulturministerin Tessa Jowell hat jetzt mit dem Vorschlag, Charles Darwins Haus nahe Downe in der südostenglischen Grafschaft Kent in die Liste der Weltkulturdenkmäler aufzunehmen, weil Darwin dort die Evolutionstheorie entwickelt habe, eine Antwort zu geben versucht: Sie entsteht durch angestrengtes Nachdenken zu Haus.

Bedenkt man den Universalitätsanspruch der Darwin’schen Theorie, ist das aber eine Verkürzung, die nach Standortpolitik riecht. Genausogut könnte man den Fitzroy-River in Westaustralien zum Denkmal erheben, benannt nach Robert Fitzroy, dem Kapitän der „HMS Beagle“, auf der Darwin seine einzige große Reise tat. Hier gibt es ein trocken gelegtes Barriereriff, in dem Darwin die geschichtlich veränderten Erdschichten, mitsamt dem Getier darin, studieren konnte. Überhaupt ist Robert Fitzroy, der nach der Reise als bibeltreuer Diener seiner Königin zu Darwins unerbittlichem Gegner wurde, bei der Entstehung der Theorie von der Veränderbarkeit der Arten nicht zu unterschätzen. Im Unterschied zu Darwin hatte der Kapitän all seine auf den Galapagosinseln eingefangenen Finken korrekt mit Fundort etikettiert. Zurück in London, als Darwin langsam klar wurde, welche Schätze jener Fitzroy mitgebracht hatte – und wie unbrauchbar seine eigenen, mit der Schlampigkeit des Genies angefertigten Aufzeichnungen waren –, musste er Fitzroy brieflich um dessen Sammlung bitten.

Das Milieu, in dem Darwin dann seine Sammlung und Gedanken ordnete, war das der englischen Gentlemen, die dem Kampf ums Dasein entrückt waren. „Ich hatte viel Freizeit, weil ich nicht selbst mein Brot verdienen musste“, beschrieb der durch ein Erbe vom universitären wie sonstigem Wirtschaftsbetrieb befreite Darwin seine Situation.

Allerdings muss die ihm zugeschriebene Formel vom „survival of the fittest“ dem „Langweiler namens Darwin“ (Stephen Jay Gould) schon zu Lebzeiten auf den Wecker gegangen sein. Schließlich wusste er, das alles was lebt, „fit“ ist, sonst würde es ja nicht leben. Die Steigerung zum „the fittest“ muss ihm nicht geheuer gewesen sein.

Was Darwin aber in seinem Garten ums Down Haus tatsächlich betrieb, war, Regenwürmer zu studieren. Über dreißig Jahre folgte er deren Wühlarbeit, machte Experimente zum Blatteinzugsverhalten der Würmer und kam zum Schluss, dass sie intelligent seien. Das Ergebnis dieser Arbeit war sein 1881 erschienenes letztes Buch über „Die Bildung der Ackererde durch die Tätigkeit der Würmer“. Tenor: Dauernd arbeiten die Würmer an und in der Erde, aber die Menge des Humus bleibt immer gleich. Wer will, kann darin einen eleganten, gegen den Ökonomismus der Zeit gerichteten Wurf sehen – Anti-Darwinismus sozusagen. So hätte dann selbst der Vorschlag von Tessa Jowell etwas Subversives.