Kumpfmuffel weint

Wochenendkrimi de luxe: In der 20. Folge darf „Bella Block“ tatsächlich mal Gefühle zeigen („Das Glück der anderen“, Sa., 20.15 Uhr, ZDF)

VON CHRISTIAN BUSS

Ordnung muss sein, gerade im hohen Alter: Die alte Dame packt akkurat ihr Köfferchen, stellt dem Mann das Essen auf den Tisch und vergiftet ihre Wellensittiche mit Rattengift. Auf dem Polizeipräsidium beichtet sie dann den Mord an der jungen Frau aus der Wohnung gegenüber, die als vermisst gemeldet wurde. Angeblich, so die Alte, wollte die Junge ihr den Kerl ausspannen. Doch bald gesteht auch der Gatte der Rentnerin, er habe die Nachbarin erdrosselt und im Kanal versenkt. Dumm nur, dass die Leiche verschwunden bleibt.

Zwei Geständige, aber keine Tote – eine sonderbare Situation für Kommissarin Bella Block. Aber keine ganz neue. Leichen sieht man ja recht selten in dieser Krimireihe. Das Verbrechen an sich ist hier oft zweitrangig, wichtiger sind die emotionalen Energieströme, die zum (manchmal auch nur eingebildeten) Verbrechen führen. In dieser Episode sind das eben Wut und eine sehr verquere Form der Liebe.

Als die Alte die angebliche Tat nachstellen muss, vertrimmt sie die Polizistin, die das Opfer verkörpern soll, ganz real mit einer Holzlatte, die ihr in die Hände gerät. So viel rohe Gewalt in einer solch klapprigen Frau! Als ihr ebenfalls geständiger Gatte nach seinem Motiv für den angeblichen Mord gefragt wird, behauptet er, das Glück der jungen Nachbarin habe ihn das eigene erinnert, das inzwischen längst verblasst ist. Wie soll man so was aushalten?

Es geht in „Bella Block“ immer um menschliche Verhaltensweisen – aber menscheln tut es dabei nicht eine Sekunde lang. Das ist natürlich vor allem der Hauptakteurin Hannelore Hoger zu verdanken, sie gibt Frau Block als Kumpfmuffel.

In der Jubiläumsfolge wird die Ermittlerin auch noch mit der Nachricht konfrontiert, ihr Lebensgefährte (Rudolf Kowalski) habe Prostatakrebs. Eben noch schnauzt sie ihren Assistenten (Devid Striesow) an, dass seine selbst gebackenen Frühlingsrollen, die er in der Tupperdose ins Büro mitbringt, ja wohl so was von versalzen sind. Um ein paar Szenen später, als sie niemand sieht, im Krankenhaus auf einem Stuhl zusammenzusacken und kurz zu weinen. Es muss das erste Mal seit Beginn der Reihe sein, dass Block die Tränen kommen.

Seit 1994 ist die Kommissarin angreifbarer geworden. Das bekommt der Figur gut. Ihre Technik ist inzwischen eine Mischung aus Raunzen und Revidieren. Hinter ihrem schroffen Ton verbirgt sich eine bemerkenswerte Fähigkeit zur Selbstkorrektur. Sie macht Fehler in der Analyse, kann diese aber auch ausbessern. Menschliche Verhaltensweisen sind komplex; es braucht Zeit, sie zu fassen. Bei dieser Krimireihe hat der Stammzuschauer über die Jahre gelernt, richtig hinzuschauen, eigene Erwartungen zu hinterfragen. Oft wird man Zeuge alltäglicher Vorgänge, deren Bedeutung sich erst im Laufe der Handlung aufschlüsselt.

So auch heute in „Das Glück der anderen“ (Regie: Christian von Castelberg, Buch: Christian Jeltsch), wo Glück und Unglück zweier Paare geschickt gespiegelt werden: Auf der einen Seite der Siedlung leben die alten Eheleute in ihrem tristen Rentnertrott, auf der anderen ein junges Paar, das Tag und Nacht schöne, verrückte Sachen tut. Der alte Mann filmt mit der Videokamera, die fröhliche Brünette gegenüber duldet seinen Voyeurismus. Irgendwann ist sie spurlos verschwunden.

Block muss sich deshalb durch den Stapel Videoaufzeichnungen des Spanners kämpfen. Die Wahrnehmung verschiebt sich auf einmal, das Monströse wird mittelwertig, das Mittelwertige monströs. Ist der Alltag der Rentner die Hölle? Oder ist die stürmische Liebe der Jungen nur ein Strohfeuer?

Alles eine Frage der Perspektive. Glücklich sind doch sowieso immer nur die anderen.