: „Wir können von Schweden lernen“
In Deutschland bekommen Frauen oft Kinder, wenn sie keinen Job haben. Danach bleiben sie zu Hause. Dieses Muster soll das Elterngeld ändern, das Karriere und Kinder fördert. Eine gute Idee, so die Demografin Michaela Kreyenfeld
taz: Frau Kreyenfeld, es gibt in der Debatte um Demografie ein immer wiederkehrendes Bild: die kinderlose Akademikerin. Gibt es die empirisch eigentlich?
Michaela Kreyenfeld: Richtig ist, dass Akademikerinnen häufiger kinderlos sind als der Durchschnitt. Aber die Zahl von 40 Prozent, die oft genannt wird, ist zu hoch geschätzt. Ganz genaue Zahlen gibt es nicht.
Nun wird 2007 das Elterngeld kommen. Berufstätige bekommen dann bis ein Jahr lang zwei Drittel ihres Nettoeinkommen und bis zu 1.800 Euro im Monat vom Staat. Das zielt offenbar auf kinderlose Akademikerinnen. Ist das richtig?
Das zielt generell auf Leute mit höherem Einkommen – und das ist eine neue Richtung in der Familienpolitik.
Von der Verkäuferinnen und Friseusen wenig haben …
Doch, durchaus. Auch die erwerbstätige Verkäuferin hat etwas davon. Das Elterngeld ist eine nötige Ergänzung der Familienpolitik. Bislang stand diese im Zeichen der Verteilungsgerechtigkeit – also der Verteilung von den Kinderlosen zu jenen, die Kinder haben, und von den Einkommensstarken zu den Einkommensschwachen. Über Anreize wurde hingegen selten diskutiert. Das ist das Neue beim Elterngeld.
Inspiriert ist das Elterngeld von der Praxis in Schweden. Hat das dort geklappt?
In Schweden wird ein anderes Familienmodell gelebt als hierzulande. Frauen, die Teilzeit arbeiten, warten dort, bis sie einen Fulltimejob haben und mehr verdienen, erst dann bekommen sie Kinder. Das Elterngeld fördert dieses biografische Muster.
Und wie ist es bei uns?
In Deutschland gibt es ein ganz anderes Muster: Die Frauen warten, bis der Mann genug verdient, dann bekommen sie Kinder. Und oft bekommen sie die in dem Moment, in dem ihre Karrierechancen schlecht sind. Damit begeben sie sich in einen Kreislauf: Frauen, die gerade keinen Job haben, bekommen ein Kind – damit ist der Zugang zum Arbeitsmarkt für sie noch schwerer.
Und das kann man mit dem Elterngeld ändern?
Es soll Frauen dazu bewegen, sich erst im Beruf zu etablieren und dann Kinder zu bekommen. Das ist eine wirkliche konzeptuelle Neuorientierung der deutschen Familienpolitik.
Klingt toll. Funktioniert das auch?
In Schweden – ja. Allerdings gibt es in Schweden auch eine Eigentümlichkeit, die mit den staatlichen Förderungen zu tun haben kann. Die Geburtenrate dort schwankt extrem. In den 80ern war sie hoch, dann ging sie stark zurück.
… weil die Schweden Kinder nach Arbeitsmarktlage kriegen?
Ja, so könnte man es vereinfacht sagen.
Gibt es denn gesicherte Daten darüber, ob staatliche Anreize dazu führen, dass die Leute mehr Kinder bekommen?
Sozial- und Familienpolitik sind wichtige Kontexte. Zielgenau beeinflussen kann man mit solchen Maßnahmen die Geburtenrate nicht – ganz abgesehen von der Frage, ob das wünschenswert wäre. Ein Beispiel für die Ambivalenz staatlicher Maßnahmen war das Babyjahr, das in der DDR Anfang der Siebzigerjahre eingeführt wurde. Das ähnelte dem Elterngeld, galt damals aber nur für Ledige. Das führte zu einem Anstieg der Geburtenrate – und einem Rückgang der Heiraten.
Was nicht beabsichtigt war …
Nein. Die Effekte von familienpolitischen Maßnahmen gerade auf die Geburtenrate sind schwer kalkulierbar. In der DDR stieg mit dem Babyjahr die Geburtenrate erst an, Ende der 80er ging sie wieder zurück. Warum, wusste niemand, denn die Rahmenbedingungen hatten sich eigentlich nicht verändert.
Gibt es eigentlich einen empirisch nachgewiesenen Einfluss von guten Kitas und Ganztagsschulen auf die Geburtenrate?
Nein, die Studien sind da dünn. Aber wissenschaftlicher Konsens ist, dass der Anstieg der Frauenerwerbsarbeit in den 60ern ein wesentlicher Grund für den Rückgang der Geburten ist. Daraus kann man folgern, dass die Geburtenrate davon abhängt, ob Frauen Beruf und Familie vereinbaren können. Das legt auch der Blick nach Frankreich und Schweden nahe, wo die Kinderbetreuung besser ist als in Deutschland – und mehr Kinder geboren werden.
In Deutschland gibt es eine verstärkte Debatte um Familienwerte. Dort argumentieren auch manche mit der schwachen Geburtenrate …
Die Debatte gibt es. In Deutschland wollen immer noch viele die Frauen zum Kinderkriegen an den Herd zurückzuschicken, auch wenn sie das nicht offen sagen. Nur – das wird nicht gelingen. Die Individualisierung und der fundamentale Wertewandel, der sich seit den 60ern vollzogen hat, sind Tatsachen. Familienwerte zu predigen wird auch nicht viel bringen. Das ist eher kontraproduktiv.
Warum?
In Deutschland ist die Kluft zwischen Familie und Nichtfamilie sehr tief. Wer sich für die Familie entscheidet, macht gewissermaßen das ganze Programm: Man denkt wertkonservativ. Die Frau wird Hausfrau und bekommt auch mehr als ein Kind. Oder man entscheidet sich für Nichtfamilie, Individualisierung und Erwerbsleben. Diese Kluft wird noch tiefer, wenn dauernd über Familienwerte debattiert wird.
INTERVIEW: STEFAN REINECKE