: Mehr rechte Gewalt in Sachsen-Anhalt
Der Landtagswahlkampf beginnt mit schlechten Nachrichten: Seit Neujahr haben Experten acht Gewalttaten aus rassistischen Motiven gezählt, „Ausdruck zunehmend entgrenzter Brutalität“. Die Opposition wirft der Regierung Konzeptlosigkeit vor
VON MICHAEL BARTSCH
Stünde nicht der Landtagswahlkampf bevor, Sachsen-Anhalts Innenminister Klaus Jeziorsky (CDU) hätte wohl kaum am Krankenbett eines von Neonazis misshandelten zwölfjährigen äthiopischen Jungen gestanden. Im Dorf Pömmelte im Landkreis Schönebeck war der Junge am Dienstag von fünf Angreifern mit einer Waffe bedroht, erniedrigt, geschlagen und mit einer glühenden Zigarette traktiert worden. Der Junge liegt noch immer im Krankenhaus, nur einer der Angreifer wurde inhaftiert.
Der Fall hat die öffentliche Aufmerksamkeit auf die zunehmende rechte Gewalt in Sachsen-Anhalt gelenkt. Die Mobile Opferberatung Magdeburg registrierte in den ersten elf Tagen des neuen Jahrs allein acht Gewalttaten aus nazistischen und rassistischen Motiven. Dies sei „Ausdruck der zunehmend entgrenzten Brutalität von Neonazis in Sachsen-Anhalt“.
Bereits am Neujahrsmorgen wurden zwei Jugendliche in Quedlinburg und zwei Vietnamesen in Gräfenhainichen teilweise schwer verletzt. Das jüngste Opfer aus Äthiopien war vor einem Jahr schon einmal von denselben Angreifern in Pömmelte geschlagen worden, hatte aber aus Angst keine Anzeige erstattet.
Das Innenministerium in Sachsen-Anhalt musste inzwischen zugeben, dass die Zahl rechtsradikaler Straftaten seit zwei Jahren wieder ansteigt. Unter dem Druck des Wahlkampfes ist jetzt der Streit um die politische Verantwortung dafür und um Gegenmaßnahmen entbrannt. SPD-Spitzenkandidat Jens Bullerjahn forderte „ein klares Zeichen aller Demokraten“. Öffentlichkeitsheischende Besuche des Innenministers am Krankenbett reichten nicht aus, sagte Sebastian Striegel von den Grünen. Die Landesregierung habe das Problem des Rechtsextremismus seit Jahren unterschätzt, kritisierte Innenpolitiker Matthias Gärtner von der Linkspartei. Beide fordern nun ein neues Landesprogramm für Demokratie und gegen rechts.
So etwas aber hat es unter der bis 2002 andauernden SPD-Regierung Reinhard Höppners schon einmal gegeben. Der Verein „Miteinander“ war gut finanziert und galt als bundesweit vorbildlich. Die CDU-FDP-Regierung entzog ihm nahezu alle Fördermittel. Neuerdings wird bei den verbliebenen Mitarbeiter nicht nur von Medien wieder ständig angefragt. „Bei den mageren Reaktionen der Behörden bisher hatten wir eher den Eindruck, man wolle das Problem aussitzen“, sagt David Begrich vom Regionalbüro Halle. „Wir wünschen uns eine nachhaltige Diskussion und eine analytische Auseinandersetzung. Die Parteien haben kein geschlossenes Konzept gegen Rechts.“ Das Hauptproblem in Sachsen-Anhalt sind Kennern der Szene zufolge die gewaltbereiten Kameradschaften.