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Archiv-Artikel

Paradies für Ostalgiker

Beim Jahrmarkt vor der Gedenkstätte der Sozialisten tummelt sich ein Sammelsurium linker Gruppen. Für viele von ihnen hat die DDR noch nicht ausgedient. Sechs Standporträts

VON MARTIN REISCHKE UND FELIX LEE

Die blaue FDJ-Fahne hängt schlaff herunter. Doch wenn die Münchner Agitprop-Truppe zu singen anhebt, dann reckt sich hin und wieder die geballte Faust eines Vorbeilaufenden in die Höhe. Vor einem hellbraunen Robur-Bus, original DDR-Produktion, haben sich vier Frauen und ein Mann aufgebaut. Sie vertreten die Freie Deutsche Jugend (FDJ), Ortsgruppe München.

Schon seit dem frühen Morgen heizen sie mit traditionellen Kampfliedern den Altgenossen ein. „Auf, auf zum Kampf, zum Kampf sind wir geboren“, singt die Gruppe. Spärlicher Applaus, doch der Optimismus ist ungebrochen. „Der Auftritt hat mir immer sehr viel Kraft gegeben für den Kampf“, sagt Stefan Hetzler, der nicht zum ersten Mal in Berlin dabei ist. Die Kraft kann er gut gebrauchen, denn viele Mitstreiter hat er nicht mehr. Von den mehr als 2 Millionen Mitgliedern der einstigen Massenorganisation sind nach der Wende weniger als 200 übrig geblieben. Hetzler formuliert das diplomatischer: „Die Strukturen sind der aktuellen Kampfsituation und -größe angepasst.“

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Keith Barlow ist ein gefragter Mann an diesem Morgen. Das liegt vor allem an dem unscheinbaren Stoffbeutel, den er neben sich abgestellt hat. Daraus zaubert er immer wieder neue Exemplare des Morning Star hervor, nicht mehr ganz druckfrisch zwar, aber das ist den Leuten heute egal. Auch wenn viele ältere Käufer so ihre Schwierigkeiten haben dürften mit den englischen Texten, kann sich Barlow über mangelnden Absatz nicht beklagen: Mehr als 100 Exemplare verkauft er während der Demo. Viele kennen die sozialistische Londoner Tageszeitung noch aus DDR-Zeiten, als sie zwar gern gesehen, aber schwer zu bekommen war. Aus den Kiosken ist der Morning Star längst verschwunden. Also hat Barlow ein großes Paket aus London bekommen und verkauft den Genossen wie jedes Jahr die gedruckte „Reminiszenz an bessere Zeiten.“

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Der Sozialismus ist an diesem Verkaufsstand nicht nur mit Pittiplatsch und dem kleinen Maulwurf Krtek präsent. Auch im Kopf des Händlers scheint es die DDR noch zu geben: Mit Journalisten wolle er nichts zu tun haben, keift er. Für so etwas habe er keine Zeit. Vielleicht hat er mit seinem Ostalgiestand auch gar keine Publicity nötig. T-Shirts mit Brecht-Zitaten und DDR-Wappen finden ebenso reißenden Absatz wie die Ampelmännchen als Schlüsselanhänger oder der aufziehbare Spielzeugtrabbi. Nur eine Produktpalette ist mit der Zeit gegangen: die Filme. „Im Staub der Sterne“, „Die Geschichte des kleinen Muck“ und „Panzerkreuzer Potemkin“ sind nicht nur als VHS-kassette erhältlich, sondern auch als DVD-Version.

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Solange sich Inge Renkewitz erinnern kann, hat sie sich mit Politik beschäftigt. Bei der FDJ war sie aktiv. Jahre später, als Lehrerin in Königs Wusterhausen, engagierte sie sich im SED-Frauenverband. Nun steht die 71-Jährige vor dem Stand des Freundeskreises „Ernst-Tählmann-Gedenkstätte“ e. V. und wettert gegen den neuen bayerischen Besitzer der Gedenkstätte im brandenburgischen Ziegenhals. Der hatte das eigentlich als Denkmal anerkannte Gelände nach der Wende gekauft und möchte es nun alles abreißen, erzählt Renkewitz. Das wolle und könne sie nicht zulassen. Immerhin habe hier am 7. Februar 1933 der ZK der KPD zum letzten Mal getagt, bevor die Genossen in den Untergrund mussten. Die Gedenkstätte in Ziegenhals zeige, so die 71-Jährige: „Nicht alle Deutsche waren 1933 Nazis.“

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Mit der DDR hat Alex Dirmeier nicht viel am Hut. Der heute 24-Jährige war zu jung, um sich mit dem sozialistischen Staat zu identifizieren. Das scheint mit Venezuela anders zu sein. „Dort gibt es Betriebsbesetzungen, Arbeiterkontrolle, Verstaatlichung“, schwärmt Dirmeier. Präsident Chávez spreche vom „Sozialismus im 21. Jahrhundert“. Für ihn habe das Modell Venezuela Vorbildcharakter – auch für die Linke in Deutschland. Um diese Botschaft anderen mitzuteilen, steht er seit 8 Uhr vor dem Venezuela-Stand. Bis zum frühen Nachmittag muss er auch noch aushalten. Erst dann werde auch er eine rote Nelke niederlegen. So viel DDR steckt dann doch in ihm.

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Anke Irrling ist außer sich vor Wut. Vor ihrem Blumenladen hat sie einen Klapptisch aufgestellt. Seit 10 Uhr steht sie an der Demostrecke und verkauft Nelken. „Das Ordnungsamt hat uns angezählt“, beschwert sich Irrling. Wenn sie nach 12 Uhr noch verkaufe, habe man ihr eine saftige Geldbuße angedroht. Irrling ist wütend: „Um die fliegenden Händler vor der U-Bahn kümmert sich niemand.“ Wenn es ans Geschäft geht, dann findet die internationale Solidarität ein jähes Ende.