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Archiv-Artikel

Vom ganz Kleinen zum ganz Großen

BUCH In „Galerie der Namenlosen. 15 Fiktionen“ von Elke Schmitter und Hanns Zischler versorgen Schriftsteller unbekannte Porträtierte mit einer Geschichte

Alles andere als Namenlose haben mitgemacht, Judith Hermann etwa oder Katja Lange-Müller

Es ist eine hübsche Idee: eine Kunstsammlung in eine Textsammlung zu überführen und den sogenannten Namenlosen der Berliner Gemäldegalerie wenn schon nicht den vermissten Eigennamen, so doch eine kleine Geschichte zu geben. Alles andere als Namenlose haben mitgemacht, Judith Hermann, Katja Lange-Müller, Wim Wenders, F. W. Bernstein, Jochen Schmidt, um nur ein paar zu nennen. Es wurde also auch ein hübscher Band: Typ Geschenkbuch für die höheren Stände.

Dass es nicht nur ein hübsches, sondern ein intelligentes Vergnügen ist, darin zu lesen und zu schauen, liegt an der Struktur der Sammlung und dem dadurch möglichen Vergleich. Wir alle teilen die Erfahrung, aus heiterem Himmel gewissermaßen von einem Gemälde, einem Porträt, so überrascht zu werden, das wir ins Nachdenken kommen. Über das Bild selbst, das uns so erwischt hat, vielleicht dann über uns, eine ferne Erinnerung oder einen akuten Ärger, dem es Gestalt gibt, um wieder von der eigenen kleinen zur großen Geschichte vorzustoßen und der fernen Zeit, aus der das Bild uns so plötzlich nahe rückt.

Dabei zu sein, wenn das anderen passiert, ist, wie die von Elke Schmitter und Hanns Zischler herausgegebenen „15 Fiktionen“ zu einer „Galerie der Namenlosen“ zeigen, eine spannende Sache. Denn gleich wird man enttäuscht. Schließlich hat Katja Lange-Müller für das mächtige, fette Mannsbild, über dessen Porträt zu lesen mich als Erstes interessierte, durchaus einen Namen. Es ist der Florentiner Feldhauptmann Alessandro del Borro, erfolgreich im ersten Castrokrieg gegen die einflussreiche Familie Barberini und den aus ihr hervorgegangenen Papst Urban VIII. Um das Jahr 1645 hat ihn Charles Mellin auf Leinwand festgehalten, würdevoll und keck zugleich, mit den zwei kleinen Hörnchen, zu denen sich seine vollen Haare sträuben.

Aufregend ist auch zu sehen, wie einer an seiner besten Idee vorbeirennt, im Bemühen, sich dem gewählten Bild mit der gebotenen kunsthistorischen Raffinesse zu nähern. „Gestatten, Cécile“, lässt Wim Wenders die junge Dame sagen, die Petrus Christus porträtierte. Und weiter, dass sie gerade 14 Jahre alt geworden sei, während sie im Sommer 1470 dem Vater Modell stehe, während sich ihre Freundinnen in Ostende am Meer vergnügten. Wunderbar, denkt man: Jetzt weiß ich endlich, warum es so missmutig dreinschaut, das schöne Kind. Aber nein, der Vater hat gesagt, wie es schauen muss, und länglich mit ihm darüber diskutiert. Trotzdem ist es eine lesenswerte Geschichte, die Wenders erzählt, auch wenn mir scheint, er sei irgendwie nicht intelligent genug für seine eigene genuine Intelligenz.

Überhaupt fällt die Herausforderung der Gemälde an diese reflexhafte, sprungbereite Intelligenz ein wenig der kunsthistorischen Erörterung zum Opfer. Nur die Dichter wie Nora Bossong oder Felix Philipp Ingold, in ihrem konzentrierten poetischen Ausdruck, erliegen dieser Verführung nicht. Und nicht zu vergessen, auch Harry Rowohlt tut das nicht. Seine im Klappentext wiedergegebene, charmante Absage an das Unternehmen ist allein schon den Band wert.

BRIGITTE WERNEBURG

■ Elke Schmitter, Hanns Zischler (Hrsg.): „Galerie der Namenlosen. 15 Fiktionen“. Alpheus Verlag Berlin 2013, 104 Seiten, 14,95 Euro