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Archiv-Artikel

Amazonbeschäftigte verweigern das Verpacken

TARIFKONFLIKT In Bad Hersfeld und Leipzig haben die ersten Streiks für höhere Löhne begonnen

„Wir erwarten keine Auswirkung auf Lieferungen“

CHRISTINE HÖGER, AMAZON

BERLIN taz | Bei Amazon Deutschland ist die nächste Eskalationsstufe erreicht: Der Versandhandelsriese wurde gestern an zwei seiner Standorte bestreikt. Sowohl im hessischen Bad Hersfeld als auch in Leipzig (Sachsen) legten mehrere Hundert Beschäftigte des US-amerikanischen Konzerns in einem „Ein-Tages-Streik“ die Arbeit nieder. Sie wollen Tarifverhandlungen und eine bessere Entlohnung erzwingen.

Der Versandhandelskonzern, der nach eigenen Angaben an bundesweit acht Logistikzentren rund 9.000 Mitarbeiter beschäftigt, zeigt sich in der Frage seit Monaten hartleibig. Er hat zwar mit der Gewerkschaft Ver.di informelle Gespräche geführt, weigert sich aber, offizielle Tarifverhandlungen aufzunehmen. In einer Urabstimmung hatten sich deswegen die gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten in Bad Hersfeld und Leipzig im April mit großer Mehrheit für Streiks ausgesprochen.

Die waren laut Ver.di nun ein Erfolg. „Knapp die Hälfte der Frühschicht, rund 500 Kollegen, haben in Bad Hersfeld die Arbeit niedergelegt“, sagte Gewerkschaftssekretärin Mechthild Middeke der taz. In Leipzig folgten nach Ver.di-Angaben bis zum Mittag 250 Beschäftigte dem Aufruf. Dort arbeiten insgesamt rund 2.000 Beschäftigte, in Hessen sind es 3.300.

Ob wegen der Streiks Waren nicht ausgeliefert werden konnten, „sei bisher schwer einschätzbar“, sagte Middeke. Amazon-Sprecherin Christine Höger betonte am Dienstagmittag, „derzeit erwarten wir keine Auswirkungen auf die Auslieferung an Kunden“. Nach Schätzungen kontrolliert das Unternehmen bis zu einem Viertel des deutschen Onlinehandels.

Ver.di will, dass Amazon, wie beispielsweise auch der Versandhändler Otto, seine Beschäftigten nach dem Tarifvertrag des jeweiligen Bundeslands für den Einzel- und Versandhandel bezahlt und Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie bessere Zuschläge für Nacht-, Feiertags- und Sonntagsarbeit gewährt. Nach dem Tarifvertrag des Versand- und Einzelhandels wäre für Bad Hersfeld ein Einstiegslohn von 12,18 Euro und in Leipzig von 10,56 Euro brutto fällig. Amazon hingegen orientiert sich bei der Bezahlung an den niedrigeren Tarifen der Logistikbranche und zahlt als Einstiegslohn 9,30 Euro.

In den Fokus der Öffentlichkeit war das Unternehmen im Februar allerdings nicht wegen der Arbeitsbedingungen seiner Stammbeschäftigten gerückt, sondern wegen des Umgangs mit angeheuerten Leiharbeitern. Im Weihnachtsgeschäft hatte der Konzern nach eigenen Angaben über 900 Saisonkräfte beschäftigt. Im Februar berichtete eine ARD-Reportage, dass diese geringer entlohnten Beschäftigten aus dem Ausland in einem Ferienpark untergebracht und dort von einer Sicherheitsfirma drangsaliert würden. Amazon trennte sich daraufhin von der Firma.

Die große öffentliche Aufmerksamkeit nutzte Ver.di, um das Thema Amazon am Köcheln zu halten. Seit zwei Jahren bemüht sich die Gewerkschaft um die Organisierung der Stammbeschäftigten. Mittlerweile gibt es an vier der acht Standorte fest installierte Betriebsräte. Das Thema Leiharbeit steht derzeit jedoch nicht im Zentrum. Denn es ist Nebensaison und das Unternehmen beschäftigt nach eigenen Angaben aktuell nur rund 140 Leiharbeiter.

Auch auf Gewerkschaftsseite sieht man ein, dass es beispielsweise im Weihnachtsgeschäft notwendig ist, zusätzliche Kräfte einzustellen. „Aber das muss mindestens zum gleichen Lohn wie für die Stammbeschäftigten geschehen“, sagte Middeke. Amazon hingegen betonte am Dienstag, man bezahle tarifgerecht den Leiharbeitslohn. Der beträgt derzeit 7,50 Euro im Osten und 8,19 Euro im Westen.

Ver.di kündigte am Dienstag weitere Streiks an, sollte sich Amazon nicht bewegen.

EVA VÖLPEL