An die Peripherie gedrängt

GENTRIFIZIERUNGS-DEBATTE Eine Konferenz in Hamburg widmet sich dem Zusammenhang zwischen sozialer Spaltung und dem Wohnungsmarkt. Mit der Analyse hielten die Lösungsideen nicht ganz mit

Wachstum allein könne die soziale Frage nicht lösen, sagt der Geograph Jürgen Oßenbrügge – in der Krise aber befördere sie massiv die Spaltung

Dass das Thema geboten ist, zeigte schon die Nachfrage: 250 Teilnehmer kamen am Donnerstag zur erklärt ersten „Konferenz zur sozialen Spaltung“ im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg. Das war gut die Hälfte mehr, als die Veranstalter erwartet hatten, und sogar jetzt musste man etlichen Interessierten den Zutritt zum örtlichen Bürgerhaus verwehren. Angekündigt ist indes eine Dokumentation der Konferenz.

Die Tagung, organisiert unter anderem von der Nordelbischen Kirche, dem Diakonischen Werk, der Lawaetz-Stiftung und diversen Hochschul-Fachbereichen, wollte die Themen Stadtentwicklung und soziale Verwerfungen analytisch miteinander verknüpfen und Lösungsansätze vorstellen. Was nicht, um das vorwegzunehmen, in gleichem Maße gelungen ist.

Den ersten analytischen Aufschlag machte der Hamburger Stadtforscher Jürgen Oßenbrügge. Angeheizt durch Bevölkerungswachstum, einschlafende Neubautätigkeit und immer mehr Single-Haushalte existiere bereits heute ein „Kampf um den Wohnraum der inneren Stadt“, sagte der Geograph. Nachweislich seien Migranten und Ältere seit Mitte der 1990er Jahre zunehmend an die Peripherie gedrängt worden. Darunter leide die soziale Mischung: „Arm zu arm, reich zu reich.“

Oßenbrügge sieht eine drohende Dreiteilung: in eine „erste Stadt des luxuriösen Wohnens und der internationalen Wirtschaft“, eine zweite Stadt der saturierten Mittelschicht und eine dritte Stadt mit zusammenhängenden Inseln der Marginalisierung. Zentral für diese geographisch fixierte soziale Spaltung nennt Oßenbrügge, dass der Arbeitsmarkt nichts zur sozialen Integration beitrage: Zwar habe die Hansestadt zwischen 2004 und 2007 hohe Wachstumsquoten und eine Abnahme der Arbeitslosigkeit verzeichnet, aber in dieser Zeit die Zahl der Arbeitnehmer, die über ein Nettoeinkommen von weniger als 900 Euro verfügten, konstant bei über 20 Prozent gelegen. Wachstum allein könne die soziale Frage also nicht lösen, so Oßenbrügge – in der Krise aber befördere sie massiv die Spaltung.

Diskussion seit 20 Jahren

So vielfältig Oßenbrügge und seine Mitreferenten die Faktoren der sozialen Spaltung auch aufblätterten, so allgemein blieben häufig die Ansätze, auch Lösungen zu finden: Da stand dann die Forderung nach einer besseren Gesundheitsversorgung neben jener nach umfangreicheren Bildungsangeboten und einer aktiven Arbeitsmarktpolitik.

„Seit 1990 diskutieren wir unter wechselnden Begrifflichkeiten wie Revitalisierung, soziale Stadtteilentwicklung oder Gentrifizierung über vergleichbare Probleme“, klagte denn auch die Hamburger Stadtplanerin Ingrid Breckner. „Es wäre frustrierend, wenn wir weiter im Aufriss der Problemlagen stecken bleiben und keine konkreten Handlungsalternativen entwickeln.“

Aus Breckners Sicht kranken die staatlichen Hilfsprogramme für benachteiligte Quartiere vor allem an mangelnder Kontinuität und unterbleibender Kooperation zwischen den Behörden. Nach holländischem Vorbild schlägt sie unter anderem vor, Behördenmitarbeiter, die beispielsweise für Stadtteilprogramme verantwortlich sind, sollten mindestens zwei Tage ihrer Arbeitswoche auch tatsächlich in den entsprechenden Quartieren verbringen.

Die Veranstalter möchten diesen ersten Wilhelmsburger Diskurs als „Auftakt für eine längerfristige Debatte über die soziale Spaltung in Hamburg“ verstanden wissen. Zumindest eine Folgekonferenz ist für das kommende Jahr bereits in Planung, dann ja vielleicht mit mehr Platz für Teilnehmer – und mit mehr Lösungsvorschlägen. MARCO CARINI

Internet: http://stadtfueralle.wordpress.com