WOLFGANG GAST LEUCHTEN DER MENSCHHEIT
: Aufarbeitung der Stasi bleibt spannend

Im Bundestag zeichnet sich eine Mehrheit für eine Verlängerung der Stasi-Überprüfungen im öffentlichen Dienst ab. Die ganz große Koalition von Union, FDP, SPD und Grünen spricht sich dafür aus, die Ende 2011 auslaufende Regelung zu verlängern. Einzig die Linkspartei ist dagegen.

Es ist die Verlängerung der Verlängerung. 2006, als die Regelung zuletzt verlängert wurde, hatte der Liberale Burkhard Hirsch noch geklagt: „Ich sage Ihnen, dass es ganz und gar unserer Rechtstradition widerspricht, einem Täter über einen so langen Zeitraum hinweg eine Tat nachzuhalten: 15 Jahre! Wenn ich Zweifel am Gesetz habe, dann an diesem Teil, der nicht die Kraft findet zu sagen, dass in fünf oder sechs Jahren, jedenfalls in diesem Jahrhundert, die allgemeine Durchleuchtung der Vergangenheit endet, wenn nicht ein individuelles Opfer Klage oder Anklage erhebt.“ Ein schöner Satz, dem hinzuzufügen ist, dass ein Ende der Stasi-Überprüfung keinesfalls ein Ende der Aufarbeitung von Stasi und SED-Herrschaft bedeutet.

Wie Aufarbeitung Sinn ergibt, zeigt beispielhaft der von Christiane Baumann herausgegebenen Band „Manfred ‚Ibrahim‘ Böhme – ein rekonstruierter Lebenslauf“ (Schriftenreihe des Robert-Havemanns-Archivs). Der Ende 1999 verstorbene Böhme galt nach der Wende als große Hoffnung der ostdeutschen Sozialdemokraten, bei der ersten freien Wahl zur Volkskammer wurde er als kommender Ministerpräsident gehandelt. Dazu kam es nicht, weil er von seinen Freunden über deren Stasi-Akten als Inoffizieller Mitarbeiter enttarnt wurde. Baumann beschreibt Böhmes Unfähigkeit, mit der eigenen Biografie umzugehen, und sie lässt Platz für eine komplexe Lebensgeschichte. Und die ist erheblich spannender als die lapidare Frage, ob jemand auf seinem Einstellungsbogen vergessen hat, das Kästchen MfS anzukreuzen.

Der Autor ist Redakteur der taz Foto: privat