: Ein fragiles Gerüst und ein philosophisches Schimmern
WUNSCHERFÜLLUNG Der Schriftsteller Thomas Glavinic entwickelt einen märchenhaft-philosophischen Plot, verzettelt sich dann aber lieber in Sex & Crime & Rock ’n’ Roll – der Roman „Das Leben der Wünsche“
Dieses Buch ist ein Albtraum in der Verkleidung eines Märchens. Der Werbetexter Jonas trifft im Park auf einen weiß gekleideten Mann, der ihm die Erfüllung dreier Wünsche in Aussicht stellt. Jonas, nicht dumm, wünscht sich, dass alle seine Wünsche in Erfüllung gehen mögen. Zum Beispiel, mehr zu erleben. Zu erfahren, wie es ist, nur knapp mit dem Leben davonzukommen. Zum Beispiel, in Zukunft und Vergangenheit schauen zu können. Der weiße Mann lacht und verschwindet.
Im Märchen pflegen Dinge an allen Naturgesetzen vorbei zu geschehen. Und die Märchenmenschen pflegen sie weder in Frage zu stellen noch verstehen zu wollen. „Das Leben der Wünsche“ funktioniert ebenso. Ein wenig wundert sich Jonas, als die Kurse seiner Aktien plötzlich kontinuierlich steigen, doch bringt er diese Entwicklung nicht mit der Begegnung im Park in Verbindung. Ebenso wenig ist er – über den Schock hinaus, den diese Erfahrung verursacht – in seinem Weltbild erschüttert, als er seine Frau tot in der Badewanne findet. Wie könnte er auch auf die Idee kommen, dass er selbst diesen Tod gewünscht haben sollte? Zwar hat er eine Geliebte. Doch liebt er seine Frau schließlich auch noch.
Auch das erzählerische Prinzip des Roman ist – obwohl aus Jonas’ Perspektive erzählt wird – märchengemäß archaisch. Der Leser darf den großen Plan durchschauen, die Figur aber bleibt dumm. Das ist einerseits schlagend einfach, andererseits muss man fragen, ob denn diese Grundkonstellation auch für die große Form taugt. Der Figur nämlich wird dadurch jede Entwicklungsmöglichkeit genommen. Und es dauert immerhin über 300 Seiten, bis Jonas’ von ihm nicht mehr bewusst zu steuernde Existenz ein Ende findet, das sich nur als gnädig begreifen lässt.
Auch dieses Ende ist natürlich das Ergebnis eines Wunsches. Seine Voraussetzung ist zwar letztlich die Einsicht des Protagonisten in das Geschehene, doch kommt sie eigenartig spät. Oder von der Warte des Autors aus gesehen: Es ist klar, dass in dem Moment, da Jonas versteht, was mit seinem Leben passiert, diese Geschichte ihr natürliches Ende findet. Wenn man allerdings vorhat, daraus einen Roman (definiert als „ein dickes Buch“) zu machen, muss man also versuchen, den Protagonisten möglichst lange ignorant zu halten und die wenigen Spannungselemente, die es gibt, möglichst weit zu strecken. Eigentlich gibt es nur zwei: die Frage, wann Jonas’ Geliebte endlich ihren Mann verlässt, und jene, ob seine Exfreundin denn nun von ihrem Krebs geheilt wird. Damit sich während dessen niemand langweilt, verteilt man einen Haufen Sexszenen in regelmäßigen Abständen im Text. Durch dieses simple Belohnungssystem wird gewährleistet, dass der Leser bei der Stange bleibt.
Das funktioniert ziemlich gut. Als Gerüst für einen ausgewachsenen Roman aber ist es doch recht fragil. Von einem Roman hätte man, nein, zwar bestimmt keine letztgültigen Antworten, aber doch erwartet, dass er zumindest so etwas wie ein philosophisches Schimmern über sein Thema gelegt hätte. Immerhin geht es um nichts weniger als um den Sinn des Lebens. Und eigentlich will Glavinic sich dieser Frage auch gern annehmen.
Als wäre ihm irgendwann aufgefallen, dass sein so märchenhaft-philosophisch angelegter Plot sich auf allzu triviale Weise verzettelt hat in einem Reigen von Sex&Crime&Rock’n’Roll, taucht nach zwei Dritteln, wie eine Dea ex machina, Nina mit dem Fragebogen auf. Nina ist ein Bürohäschen aus Jonas’ Arbeitswelt, ihre einzige Funktion ist es, Fragen zu stellen, die zu berühren die Erzählung selbst bislang versäumt hat.
Das klingt so: „Glück oder Unglück? fragte Nina. Warum? / Also gut, sagte Jonas. Diese Welt ist absurd. Ganz ohne eine mir ersichtliche Ordnung, und doch gibt es wohl eine. Also würde es mich nicht verwundern, wenn es grotesk banale Dinge wären, die beeinflussen, ob ein Leben gut oder schlecht verläuft. Etwas, worauf wir nie kommen würden.“ Seitenlang geht es so klartexthaft weiter. Nina fragt sogar „Glaubst du an Gott?“
Wenn ein Autor plötzlich das Gefühl hat, es gäbe da ein paar Dinge, die er expliziter angehen sollte, ist das selten gut. Aus dem Thema hätte möglicherweise eine fantastische kleine Novelle werden können. Und wenn irgendwo Sinn drin ist, dann merkt der Leser das schon.KATHARINA GRANZIN
■ Thomas Glavinic: „Das Leben der Wünsche“. Hanser, München 2009. 320 Seiten, 21,50 Euro