Mit 70 dB in die Hölle

FESTIVAL-SOMMER In ein paar Wochen beginnt wieder die Open-Air-Festival-Saison. Die wichtigsten Festivals im Norden im Überblick

■ Nur das Wichtigste mitnehmen, den Rest findet man nach drei Tagen eh nicht wieder.

■ Urinella: macht nicht nur auf der Fusion Stehpinkeln an Lady-Urinalen möglich.

■ Make-Up-Entferner: hilft auch gegen die neue Festivalmode – der plötzlich von hinten ins Gesicht geschmierte Glitzerpuder.

■ Schnittlauch: gibt nach vier Tagen allem wieder ein bisschen frische Schärfe.

■ Gaffer-Tape: hält nicht nur auf der Bühne alles fest zusammen.

■ Wärmepflaster: ersetzt auf die Nieren geklebt nachts die dicke Jacke.

■ Magnesiumtabletten: gegen schmerzende, kaputt getanzte Beine.

■ Flip-Flops: gegen das Igitt-Gefühl beim Duschen.

VON ROBERT MATTHIES

Das Schwarze: Modisch mag man sich hier an längst vergangenen Zeiten orientieren, aber auch Deutschlands ältestes Festival der Schwarzen Szene muss mit der Zeit gehen: Das Programm des M’era Luna-Festivals in Hildesheim kann man per App auf dem stilecht steampunkish aufgemotzten Smartphone durchblättern. Ansonsten setzt man auf Beständigkeit: Über 20.000 Gothic-Metaller, Future-Popper und Neue-Deutsche-Härte-Fans hören unter anderem Front 242, Nightwish und einen Akustik-Gig von Deine Lakaien. Hildesheim: Sa, 10. 8. und So, 11. 8., Flughafen Drispenstedt, Kombi-Ticket 84 Euro, www.meraluna.de

Das Laute: „Louder than hell“ soll das Wacken Open Air sein. Wie laut die Hölle ist, steht nun fest: Auf 70 Dezibel haben sich die Veranstalter des weltgrößten Heavy-Metal-Festivals in der schleswig-holsteinischen 2.000-Verdammte-Seelen-Gemeinde Wacken und die Anti-Lautstärke-Kläger außergerichtlich geeinigt. Wird’s lauter, gibt es 1.000 Euro für soziale Einrichtungen. Geld in deren Kassen spielen diesmal unter anderem Alice Cooper, Motörhead, Rammstein und Danzig. Wacken: Do, 1. 8. bis Sa, 3. 8., ausverkauft, www.wacken.com

Das Idyllische: Rund 1.500 Menschen tummeln sich jedes Jahr beim Rock an der Eider auf dem idyllischen Eiderstrand in Süderstapel. Das sind immerhin etwa 500 mehr, als in dem beschaulichen Örtchen südöstlich von Husum wohnen – darunter die rund 100 Ehrenamtlichen, die das Umsonst-Festival auf die Beine stellen. Die Fiesen Friesen und die Speedcountry-Kombo The Ford Broncos kann man hier am Samstag auf der Bühne sehen, Kurzentschlossene bekommen Handtücher fürs Eider-Bad vom Festival-Verleih, kleine Festivalbesucher toben sich derweil im Piraten-Pavillon mit Bastelaktionen, Buttonmaschine und Tattoos aus. Außerdem gibt es wieder einen großen Wasserspiel-Wettbewerb. Süderstapel: Sa, 10. 8., Eiderstrand / Strandstraße, Eintritt frei, www.rock-an-der-eider.de

Das Karibische: Die großen Namen findet man beim Weedbeat-Festival nicht, dafür jede Menge vielversprechende Newcomer, gemütlichen Charme und eine außergewöhnliche Umgebung. Zwischen Bäumen und Kiesteichen verbreitet das Weedbeat-Festival im Dorf Rössing bei Hildesheim drei Tage lang Karibik-Flair. Rund 2.000 Besucher hören vor allem Reggae, Dub, Dancehall und Ska, aber auch Afro-Beat, Hip-Hop, Mestizo-Klänge oder Electronica, unter anderem von Karamelo Santo, La Papa Verde und Jamaram. Nordstemmen: Fr, 12. 7. bis So, 14. 7., VaZ Speicher, An der Zuckerfabrik 50, Tickets 27,60 Euro, www.weedbeat.de

Das Parallelgesellschaftliche: Statt auf große Namen setzt man beim Fusion-Festival auf dem mecklenburg-vorpommerschen Flugplatz Lärz, dem „Kulturkosmos Müritzsee“, auf Vertrauen. Wer von den „allgemein bekannten Top Acts“ spielt, wird vorher nicht bekannt gegeben. Dass das Programm wieder außergewöhnlich und vielfältig sei, da müsse man schon drauf vertrauen. Das ist wohl auch die beste Grundlage für vier Tage Ferienkommunismus. Und das ist schließlich immer noch der Slogan der vor allem von Berlinern und Hamburgern bevölkerten Seelen-Tankstelle. Über 200 Bands, DJs, Theatergruppen und andere Live-Acts gibt es auf dem Marktplatz der Utopien und Träume von jener nicht von „Rücksichtslosigkeit, Intoleranz, Egoismus und Geldscheffeln“ bestimmten Welt zu sehen und hören. Wer nicht schon im Dezember Karten gekauft hat, geht allerdings leer aus. Auch alle Schichten beim „Arbeitsamt“ sind bereits vergeben. Lärz: Do, 27. 6. bis So, 30. 6., Kulturkosmos Müritzsee, ausverkauft, www.fusion-festival.de

Das Vielfältige: An Omas Teich im ostfriesischen Großefehn erwartet einen längst viel mehr als die kleine Party im Garten von Marios Grußmutter, aus der das Festival Ende der 90er entstanden ist. 10.000 Besucher tummeln sich jedes Jahr auf dem 15 Hektar großen Festivalgelände, auf der Bühne stehen diesmal unter anderem die Bloodhound Gang, Thees Uhlmann und Bonaparte. Außerdem gibt es ein Hörspielzelt, eine Strandbar mit Karaoke, Omas Gute Stube, in der man gemeinsam mit Bands kochen kann, und die legendären Teichgames. Großefehn: Do, 25. 7. bis Sa, 27. 7., Festivalgelände, 3-Tagesticket inkl. Camping 75 Euro, ohne Camping 60 Euro, Tagestickets 40 Euro, www.omas-teich.de

Das Alte: Eines der ältesten Umsonst-und-draußen-Festivals des Landes ist das Wutzrock-Festival am Eichbaumsee im Hamburger Stadtteil Allermöhe. Seit 1978 feiert man den ein paar Jahre später gewonnenen Kampf um ein autonomes Jugendzentrum. Bestätigt sind für dieses Jahr erstaunlich viel Lateinamerikaner: Karamelo Santo, Desorden Público und die Kumbia Queers. Hamburg-Allermöhe: Fr, 2. 8. bis So, 4. 8., Eichbaumsee, umsonst, www.wutzrock.de

Das Nasse: Auf schlechtes Wetter muss man sich beim Deichbrand-Festival gefasst machen: Dreimal ist das Festival bei Cuxhaven schon ins Wasser gefallen, letztes Jahr musste nach Orkanböen sogar das Hauptbühnendach über Nacht geflickt werden. Der wachsenden Beliebtheit tut das keinen Abbruch. 25.000 Besucher freuen sich dieses Jahr an erstmals vier Festivaltagen vor allem auf deutsche Acts, unter anderem auf die Toten Hosen, Tocotronic und Kraftklub. Cuxhaven: Do, 18. 7. bis So, 21. 7., Seeflughafen Cuxhaven/Nordholz, Kombiticket 99 Euro, Tagestickets 57,50 Euro. www.deichbrand.de

Das Grüne: Klimaneutral und umweltfreundlich will auch dieses Jahr das „grüne Festival“ Klangstadt Open Air im Freibad im Dörfchen Poggensee bei Bad Oldesloe sein: Nicht nur alle Sitzsack-Styroporkügelchen haben die Veranstalter bei klimaneutral versendenden Lieferanten bestellt, sondern auch Bäume in Oldesloer Gärten gepflanzt. Zu hören sind an drei Festivaltagen unter anderem die Kleinstadtpioniere, Findus und traditionell der Shanty Chor Bad Oldesloe. Bad Oldesloe: Fr, 12. 7. bis So, 14. 7., Freibad Poggensee, Festivalticket 18 Euro, Tagestickets 8 Euro, www.klangstadt-openair.de