Minimal große Gesten

Der Techno-DJ Richie Hawtin komponiert für die Eröffnung der Turiner Winterspiele

Der Hang zum künstlerischen Konzeptgewerkel zeichnet ihn ja schon länger aus, den Technoproduzenten Richie Hawtin. Lange bevor er den Job als Komponist der Musik für die Eröffnungszeremonie der Olympischen Winterspiele in Turin am 10. Februar annahm, führte er aufwändige Videomusik-Gesamtkunstwerke auf – beim Mutek-Festival in Montreal vor zweieinhalb Jahren etwa, wo dann technische Probleme das künstlerische Desaster überdeckten. Deswegen erstaunt es doch: Ende vergangener Woche wurde bekannt gegeben, dass Hawtin die Vertonung des Winterspiele-Auftakts übertragen bekommen hat – rein von der Spektakeldimension her nur noch von der Eröffnung der Sommerspiele zu übertreffen.

Selbst wenn man in Betracht zieht, dass die Veranstalter der Athener Eröffnung vor zwei Jahren auch die isländische Sängerin Björk engagiert hatten: Die aber war immerhin schon mal in den Charts und ob ihres exzentrischen Verhaltens zumindest für eine Weile Gast der Vermischtes-Seiten. Hawtins blonde Hitlerjungenfrisur dagegen war nie mehr als ein Hipsterwitz. Und obwohl Hawtin es als DJ zu einigem Wohlstand gebracht hat – ein wirklicher Star, der den Weg ins popkulturelle Mainstreambewusstsein gefunden hätte, ist er nie geworden. Dafür war und ist seine Musik immer zu streng, zu reduziert. Auch wenn Frühneunzigertracks wie „Substance Abuse“ auch heute noch wunderbar und gleichzeitig beängstigend von Gipfeln und Abgründen des Rave-Exzesses erzählen.

Mit allem, was danach kam, versuchte Hawtin immer wieder, hinter das Geheimnis des Loops zu kommen, jener kleinsten möglichen Techno-Einheit, jener Klangschleife, auf der diese Musik aufbaut: Sei es mit seiner passenderweise „Concept“ betitelten Reihe aus den mittleren Neunzigern, sei es mit seinem Label m_nus (sprich „minus“ – Hawtin meint es wirklich ernst mit dem Minimalismus!), das er nach seinem Umzug nach Berlin vor zweieinhalb Jahren wieder aufleben ließ. Oder seinen Mix-CDs, für die er radikaler als alle seine Kollegen die neueste Musiktechnologie benutzt, um die Struktur der benutzten Tracks aufzubrechen und umzukodieren (siehe taz vom 16. 12. 2005).

Über all dem konzeptuellen Brimborium, das er um seinen Output herum veranstaltet – die hochgradig albernen Videoclips, in denen ein weißer Kubus auf einem weißen Tisch herumrollert und sich verformt, während Hawtin vergeistigt unter seiner Frisur hervorschaut – und über der ganzen Ich-will-an-die-Grenzen-des-Machbaren-gehen-Rhetorik: Man vergisst immer wieder leicht, wie großartig und wegweisend diese Musik dann doch ist.

„9:20“ heißt adäquat minimalicious die Komposition, die er für die Feier in Turin geschrieben hat. Der Tänzer Roberto Bolle sowie mehrere Dutzend weiterer Mitwirkender werden sich nach einer Choreografie von Enzo Cosimi dazu bewegen. Das könnte interessant werden, zumal Techno mit seiner Aufputschmittel-Kultur schon immer untergründige Beziehungen zum Hochleistungssport unterhalten hat. Auf eine solche Beziehungsanalyse wird „9:20“ wohl auch hinauslaufen. Die andere Überschneidung der beiden Sphären – die Jugend der Welt trifft sich sowohl beim Raven wie bei den Olympischen Spielen, um Frieden und Völkerverständigung zu feiern – hat Hawtin noch nie interessiert.

TOBIAS RAPP