: Philosophische Irrungen und Wirrungen
NEUERSCHEINUNG Zitieren ist Glücksache. Bernard-Henri Lévy stützt sich in seiner neuesten philosophische Untersuchung auf einen Fake
Am Donnerstag erscheint das jüngste Opus des französischen Philosophen Bernard-Henri Lévy. Er stellt sich gängigen Vorurteilen in den Weg, verkörpert ein wenig wie ein letzter Mohikaner die Vorstellung, die man sich vom engagierten französischen Intellektuellen macht. „BHL“ sagt in Frankreich, was zeitgemäß ist. In seinem neuen Werk „De la guerre en philosophie“ rechnet BHL mit einigen linken Vordenkern wie Deleuze, Bourdieu und aus der Mode geratenen Klassikern wie Hegel und Marx ab, um seine eigenen Vorstellungen eines Konzepts für eine neue Metaphysik zu entwickeln. Die Medienkampagne für den Kulturevent lief bereits seit Tagen auf Hochtouren, die Magazine hatten Sonderseiten mit Auszügen vorbereitet, beim Radio und Fernsehen war der Autor, der sich um eine Stellungnahme nie ziert, bereits als Gast gebucht.
Eine Journalistin des Nouvel Observateur nahm sich die Zeit, das Rezensionsexemplar genauer anzuschauen. Auf Seite 122 brach sie in schallendes Gelächter aus. BHL nimmt sich dort Immanuel Kant vor und verwirft den Autor der „Kritik der reinen Vernunft“ respektlos als „körper- und leblosen Philosophen par excellence“. Darauf ist der französische Intellektuelle nicht selber gekommen. Er stützt sich auf die Arbeiten eines paraguayischen Kollegen namens Jean-Baptiste Botul, der den Neokantianern nach dem Zweiten Weltkrieg in seinen Vorlesungen den Philosophen von Königsberg definitiv als Hochstapler, „als reinen Geist und bloßen Schein“ entlarvt habe. Der Leser muss unweigerlich staunen über BHLs offensichtliche kosmopolitische Belesenheit.
Jean-Baptiste Botul? Er ist selber eine bloße Erfindung, und BHL wird in aller Öffentlichkeit zum grotesken Opfer einer Farce. Die Figur des Philosophen Botul hat sich Frédéric Pagès, ein Journalist des satirischen Canard enchaîné ausgedacht, um ebenso amüsante wie absurde Traktate zu publizieren wie namentlich „Das Sexleben des Immanuel Kant“. Mit einer minimalen Internetrecherche hätte BHL sich seine Riesenblamage ersparen können. Er hätte entdeckt, dass an Botuls Kant-Vorlesungen nicht mehr wahr ist als am „Tagebuch der Carla B.“, das Pagès jede Woche aus der Sicht einer fiktiven Präsidentengattin verfasst. BHL bleibt nun nichts anderes übrig, als sich ungewohnt demütig und mit Humor aus der Affäre zu ziehen: „Ich empfinde sogar ein gewisses Vergnügen daran, dass ich mich von einer so gut eingefädelten Mystifikation habe reinlegen lassen.“ Um solide zu zitieren und zu philosophieren, braucht es offenbar eine gehörige Portion Kriegsglück. RUDOLF BALMER
■ Bernard-Henri Lévy: „De la guerre en philosophie“ , Grasset, 180 Seiten, 12,50 €