„Die Hanse war die Vorläuferin der Globalisierung“

WELTHANDEL Das Kaufmanns- und Städtebündnis agierte wie ein Großkonzern, sagt der Lübecker Historiker Rolf Hammel-Kiesow

■ 1949 in Stuttgart geboren, ist Historiker. Seit 1993 leitet er die Forschungsstelle für die Geschichte der Hanse und des Ostseeraums in Lübeck und ist stellvertretender Leiter des Archivs der Hansestadt. Seit März 2008 lehrt er als Honorarprofessor an der Uni Kiel. Foto: Siegfried Wittenburg

taz: Im Deutschen Historischen Museum in Berlin findet die Hanse verblüffenderweise nicht statt. War das legendäre Kaufmanns- und Städtebündnis für die deutsche Geschichte belanglos?

Hammel-Kiesow: Die Hanse hat für die deutsche und europäische Geschichte eine wesentliche Rolle gespielt – 500 Jahre lang. Schon ab etwa 1150 waren niederdeutsche Kaufleute Träger der Expansion über die Elbe nach Osten mit der gewalttätigen Missionierung der Slawen, Letten und Esten. Doch die Hanse war auch Vorläuferin der heutigen Globalisierung. So hat sie Skandinavien und Nordosteuropa wirtschaftlich an Zentraleuropa angeschlossen. Sie war so erfolgreich als Wirtschaftsmacht, dass sie erst im 16., 17. Jahrhundert von Konkurrenten verdrängt werden konnte.

Jüngere Forschungen dehnen den Hanse-Raum bis Island aus.

Der Kernraum lag zwischen den vier großen Kontoren London und Nowgorod, Bergen in Norwegen und Brügge. Von dort aus wurde der Handelsraum beispielsweise über Frankreich, Spanien bis nach Italien, aber auch nach Island ausgedehnt. Über ihren zentralen Transportraum, die Ostsee, reichte der Arm der Hanse bis zu den Kupferminen in den Karpaten und den Pelzjägern in Sibirien. Handelsströme flossen aus Asien und Afrika. Die Hanse war Teil des Welthandels – im angeblich so finsteren Mittelalter!

Die Hanse war „modern“ und teilweise „ihrer Zeit weit voraus“, schreiben Sie in Ihrem mit Fotos von Siegfried Wittenburg prächtig ausgestatteten Buch.

Beispielsweise wurden in den Hansekontoren die Waren genau geprüft und mit einem entsprechenden Siegel versehen. Die Hanse führte quasi Qualitätskontrollen, Standardisierung und Markenartikel ins Wirtschaftsleben ein, im internationalen Handel eine unglaubliche Erleichterung. Politisch basierte die Hanse auf einmütigen Beschlüssen von rund 70 Städten für die Kaufleute von mehr als 200 Städten von der Rheinmündung bis Estland, die ganz unterschiedliche Interessen hatten. Dieses Konsensprinzip war langatmig, andererseits funktionierte das Netzwerk der Städte dadurch jahrhundertelang.

„Die Hanse war eine Vorwegnahme der EU“, meint das ZDF.

Nein. Die EU ist ein Bündnis von Nationalstaaten, die Hanse war ein Bündnis von niederdeutschen Städten. Beim vorbildlichen Konsensprinzip ist die EU mittlerweile einige Schritte weiter gegangen, zu moderaten Mehrheitsentscheidungen. Lernen können wir aus den Fehlern. So hat die Hanse später aus ganz egoistischen Gründen keine neuen Mitglieder mehr aufgenommen. Sie kapselte sich nach außen ab – der Anfang vom Ende.

Die Handelsmacht Hanse führte viele Kriege. Gehören Handel und Krieg zusammen?

Das muss man relativ sehen. Gemessen an den Kriegen, die im Umfeld der Hanse geführt wurden, hat dieses Bündnis sehr wenige Kriege geführt.

Handel nützt also dem Frieden?

Ja! Im Konfliktfall gab die Hanse lieber nach und zahlte, als in den Krieg zu ziehen. Nur wenn es ans Eingemachte der Rechte ging, die man sich erkämpft hatte, hielt die Hanse auch militärisch dagegen.

In der „Hanse der Neuzeit“ sind heute über 170 europäische Städte zusammengeschlossen. Ein Hoffnungsträger für ein friedliches Europa?

Ja. Je öfter sich Politiker und Bürger miteinander unterhalten und ihre Probleme gemeinsam besprechen, desto besser wächst das Verständnis zwischen den Beteiligten.

Historisch ist es faszinierend, welchen großen Zulauf die neue Hanse gerade in Osteuropa, besonders in Polen und Russland, hat. Da war die alte Hanse als Organisation der Großkaufleute schon weit egoistischer. Die Herren der Hanse agierten damals so wie heute die Großkonzerne. INTERVIEW: HERMANNUS PFEIFFER

Rolf Hammel-Kiesow, Matthias Puhle, Siegfried Wittenburg: „Die Hanse“. Primus Verlag, Darmstadt 2009, 216 S., 39,90 Euro