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Archiv-Artikel

KATHARINA GRANZIN CRIME SCENE Blutbad unter Jägern

Der Schriftsteller Gerard Donovan lebt, verrät der Klappentext, zusammen mit seinem Pitbullterrier in einer aufgegebenen Bahnstation. Sicher liebt der Autor das Tier sehr. Als fantasieanfälliger Mensch wird er vielleicht manchmal von dem Gedanken heimgesucht, wie leer das Leben ohne Hund wäre. Auch dort im Staat New York, wo er wohnt, gibt es sicher viele Menschen, die Pitbulls nicht mögen, und in einem Land voller Waffenträger kann es passieren, dass ein Hundehasser im einsamen Wald mal kaltherzig den Abzug drückt.

Nach Lektüre des Klappentextes wird, da sich nun eine sozusagen echte, dunkle Angstfantasie aus dem Roman destillieren lässt, schlagartig manches deutbarer, das vorher schlicht unheimlich war. Man kann sich selbst recht fremd werden, wenn ein Buch einen zu etwas bringt, wozu man im wirklichen Leben nicht fähig wäre: Empathie mit einem wahnsinnigen Mehrfachmörder zu empfinden.

Erschossen im Wald

Denn Julius Winsome, wie Donovans Held heißt, scheint ein netter Kerl zu sein. Ein Sonderling, sicher, der einsam in einer Waldhütte lebt, umgeben von einer riesigen, ererbten Bibliothek. Bei aller Belesenheit ist Julius ein idiot savant, der Gesellschaft anderer Menschen entwöhnt, mit denen er nur in Kontakt tritt, wenn es nötig ist. Nicht so erstaunlich, dass er unfähig zum geordneten Trauern ist, als er seinen geliebten Pitbullterrier eines Tages erschossen im Wald findet. Julius hängt im nächstgelegenen Ort Zettel auf, auf denen er Hinweise auf den Täter erbittet, und findet die Anschläge bald mit zynischen Kommentaren besudelt. Da bleibt nur eins: das Gewehr des Großvaters zu putzen, um damit unter den örtlichen Jägern ein Blutbad anzurichten.

Der Leserin bleiben grausige Einzelheiten nicht erspart, doch werden sie so sachlich geschildert, als handle es sich bei Julius’ Rachefeldzug auch nur um eine Jagd auf beliebiges Wild. In Ich-Perspektive gefangen, verlässt die Erzählung nie ihre eigene, unbeirrt irrsinnige Logik. Dass es letzten Endes doch noch zu einer Läuterung kommt, dass, wie sich herausstellt, es nicht nur der Tod des Hundes, sondern die Trennung von einer geliebten Frau ist, die hinter Julius’ Leiden an der Einsamkeit steht, erscheint dann, am Ende der großen Blutspur, fast ein wenig banal.

Die parabelhafte Radikalität, mit der die Erzählung angelegt wurde, wird durch das Cherchez-la-femme-Motiv in den bekannten Raum des literarisch Erwartbaren zurückgeholt. Das hat, auf rein emotionaler Ebene, schon etwas Erlösendes. Aber andererseits: Ist es nicht viel zu einfach? Oder wäre es im Gegenteil einfacher gewesen, den radikalen Weg konsequent zu Ende zu schreiben? Schwer zu sagen. Auf jeden Fall wird damit auch die grundsätzliche Frage aufgeworfen, was wir von Literatur eigentlich wollen.

Gerard Donovan: „Winter in Maine“. Aus dem Englischen von Thomas Gunkel. Luchterhand, München 2009. 208 S., 17,95 Euro