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Archiv-Artikel

Allein in der Nähe der Macht

EINWANDERUNG Ali Aslan arbeitet im Bundesinnenministerium und soll anderen Deutschtürken die Integrationspolitik verkaufen. In seinem Leben ging es bislang nur in eine Richtung – nach oben

Erfolgreiche Migranten TEIL III

Die öffentliche Diskussion über Integration wird bestimmt von Geschichten über gescheiterte Migranten und deren Abkapselung in Parallelwelten. Weil Klischees aber selten stimmen, beleuchtet die taz gelungene Migrationsgeschichten. Bisher erschienen: „Adios Spontanität“ (7. 1. 10) über eine Costaricanerin, die in Hamburg einen Kindergarten leitet, und „Unauffällig an die Spitze“ (22. 1. 10) über Vietnamesen in Leipzig. Nächste Woche: Ein argentinischer Maler in Berlin.

VON SABINE AM ORDE

Ali Aslan kennt diese Situation. Mit 19 anderen „German-Israeli young Leaders“, die die Bertelsmann-Stiftung zu einem Austausch eingeladen hat, sitzt er unter vergoldetem Stuck und üppigen Kronleuchtern im Fechelmsaal des Art’otel in Berlin-Mitte. Vorne spricht der Historiker Hayrettin Aydin von der Universtität Bremen über Immigration, Integration und nationale Identität. Es dauert nicht lange, da ist Aydin bei der Frage der doppelten Staatsbürgerschaft – und beim ehemaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble. Dieser, sagt der Historiker kritisch, habe schon in den 80er-Jahren den Doppelpass verdammt, weil man aus seiner Sicht nur einem Land gegenüber loyal sein könne. Viele der „German-Israeli young Leaders“ wenden sich Ali Aslan zu. Der 37-jährige Deutschtürke – Jeans, hellblaues Hemd, spitze schwarze Schuhe, Drei-Tage-Bart – grinst. Es ist Oktober 2009, Schäuble ist noch Innenminister. Und Aslans Chef.

Das Bundesinnenministerium hat über 1.500 Mitarbeiter, der 37-jährige Ali Aslan ist einer der wenigen Deutschtürken im Haus. Und der einzige, der es in die Nähe des Ministers geschafft hat. Eines Ministers, der für manche Deutschtürken ein Feindbild ist. Denn Schäuble hat das Zuwanderungsgesetz verschärft, den Familiennachzug aus der Türkei erschwert und zahlreichen Türken das Gefühl gegeben, nicht erwünscht zu sein.

Dieses Gefühl soll Ali Aslan abbauen. Vor allem aber soll er helfen, die Muslime besser zu integrieren. Zu diesem Zweck hat Schäuble 2006 die Deutsche Islam Konferenz ins Leben gerufen. Aslan gehört zum DIK-Team des Ministeriums.

Wie aber landet ein junger Deutschtürke ausgerechnet im Innenministerium? Wer sich Aslans Lebenslauf erzählen lässt, bekommt eine Erfolgsgeschichte zu hören. Eine Geschichte, die wenig mit Rütli-Schule, Zwangsheirat und anderen Negativklischees von Deutschtürken zu tun hat. „Ich bin keine Ausnahme“, sagt Aslan. „Aus meinem Umfeld weiß ich, dass eine große Zahl von Türken viel besser integriert ist, als dargestellt wird.“

Im dunklen Anzug sitzt er in einem Coffee-Shop mit altmodischen Sesseln und orangenen Stehlampen unweit des Ministeriums in Berlin-Moabit. Weil es in seinem Büro am Wochenende einen Rohrbruch gab, hat er das Treffen hierher verlegt. Er bringt Cappuccino für den Besuch, er selbst trinkt nichts.

Ali Aslan ist in der Türkei geboren; als er neun Monate alt war, zog die Familie – der Vater Gynäkologe, die Mutter Rechtsanwältin – nach Deutschland. Der Vater hatte eine Stelle an einer Klinik in Dortmund angenommen, einige Jahre später wechselte er an eine andere in der Nähe von Hamburg. Die Familie lebte im schleswig-holsteinischen Geesthacht in der Nähe des Atomkraftwerks Krümmel. Dort ging der Arztsohn erst zur Grundschule, später auf das Gymnasium. Probleme gab es nicht. „Bildung wurde in meiner Familie großgeschrieben“, sagt Aslan. „Meine Eltern waren entsprechend engagiert. Sie haben keinen Elternabend verpasst und sehr darauf geachtet, dass ich meinen schulischen Pflichten nachkomme.“

Seine Leidenschaft aber galt dem Fußball. Mindestens dreimal in der Woche hat er trainiert, hinzu kamen die Spiele am Wochenende. „Fußball verbindet“, sagt er. Durch den Sport sei sein Freundeskreis „ethnisch, aber auch sozial“ gemischt gewesen. Aslan kickte sich im örtlichen Fußballclub, dem VfL Geesthacht, nach oben. „Dann wurde ich vom FC St. Pauli für dessen A-Jugend-Regionalliga-Mannschaft rekrutiert.“ Mit 17 zog der junge Mann – ohne die Eltern und die ältere Schwester – nach Hamburg. Er wollte Fußballprofi werden. „Aber für den letzten entscheidenden Schritt hat es am Ende nicht gereicht.“ Eine Erfahrung, die der Arztsohn bislang nicht oft gemacht hat.

Die Eltern waren froh über diese Entwicklung, der Vater favorisierte ohnehin ein Auslandsstudium für seinen Sohn. „Er wollte, dass ich meinen Horizont erweitere und mein Englisch perfektioniere.“ Ali Aslan zog in die USA, studierte zunächst in Boston, dann in Washington und New York. An den Eliteunis Georgetown und Columbia machte er je einen Master in Journalismus und Internationaler Politik. Dann volontierte er im Washington-Büro des Nachrichtenkanals CNN, später wechselte er zur American Broadcasting Company, einem der drei großen US-Fernsehnetzwerke. Für dessen Nachrichtensendung arbeitete er bis 2002 als Reporter in New York. Die Wohnung teilte er sich mit einer Freundin, die aus Israel stammt.

Die Anschläge vom 11. September hat Aslan in New York in unmittelbarer Nähe miterlebt. Fragt man ihn aber nach einer Zäsur in seinem Leben, spricht er nicht von 9/11. Er sagt: „Mölln und Solingen, das war eine Zäsur für viele Deutschtürken.“ Bei den Brandanschlägen auf von türkischen Familien bewohnte Häuser kamen im November 1992 und Mai 1993 insgesamt acht Menschen ums Leben. Aslan lebte bereits in den USA, von den Anschlägen erfuhr er aus den Medien. „Der Anschlag hat tiefe Spuren der Verunsicherung in der türkischstämmigen Bevölkerung hinterlassen.“ Während in Deutschland manch türkischer Jugendliche über Selbstverteidigung nachdachte, setzte Aslan sein Studium in Boston fort.

Über eine ehemalige Kommolitonin landete Aslan 2003 beim Channel News Asia, dem asiatischen Pendant von CNN. Drei Jahre berichtete er für den Fernsehsender aus Istanbul und über die Fußballweltmeisterschaft aus Berlin. Dann kam das Angebot aus dem Innenministerium.

„Meinen Beruf als Journalist aufzugeben, ist mir nicht leichtgefallen“, sagt Aslan. „Aber es hat mich gereizt, zurückzukommen und die deutsche Integrationspolitik mitzugestalten.“ Diese sei mit der DIK und dem Integrationsgipfel zu einem Schwerpunkt der Bundespolitik bestimmt worden. Bislang hatte Aslan sich nie gezielt mit dem Thema beschäftigt. „Aber wenn beide Elternteile einen Migrationshintergerund haben, kann man sich ihm nicht entziehen“. Auch wieder näher bei den Eltern zu sein, fand Aslan attraktiv. Seine Schwester, die wie er vier Sprachen spricht, arbeitete inzwischen als Wirtschaftsberaterin für ein großes Unternehmen in Istanbul. Gebunden war und ist Aslan nicht. Partnerschaft? Familie? „Das war bisher mit meinem Nomadenleben nicht vereinbar.“

Er nahm das Angebot des Innenministeriums an und wurde vor allem für die Medien-Arbeitsgruppe der DIK zuständig. Mit dem Islam hatte Aslan vor seiner Arbeit für die DIK beruflich nicht viel zu tun – und auch privat definiert er sich, wie er sagt, nicht in erster Linie über die Religion.

Er ist einer der wenigen Deutschtürken im Haus. Und der einzige, der es ins Umfeld des Ministers schaffte

In der deutschtürkischen Community erntet Aslan Anerkennung für seinen Job, nicht viele Migranten haben es auf solche Posten geschafft. Manchmal aber wird er auch kritisch beäugt, weil er im CDU-geführten Innenministerium arbeitet. Die ablehnende Haltung der Deutschtürken gegenüber der Union sitzt tief. Die DIK aber wird bei der Kritik häufig ausgespart.

Fragt man Aslan nach seinen Positionen zu Themen, bei denen er vielleicht nicht auf Ministeriumslinie liegt, weicht er aus. Zum Zuwanderungsgesetz will er sich nicht äußern, bei der doppelten Staatsbürgerschaft verweist er diplomatisch auf seine Zeit in den USA, wo er trotz vieler Doppelstaatler keine Loyalitätsprobleme bemerkt habe. Illoyal will er auf keinen Fall sein. Entsprechende Aussagen würde die Pressestelle des Ministeriums, die nach ihm alle Zitate noch einmal sehen will, auch gar nicht durchlassen.

Mit seiner Arbeit will Aslan auch das Bild der Türken ändern, das in der deutschen Öffentlichkeit vorherrscht. „Probleme bei der Integration müssen klar benannt werden, aber sie müssen auch mit Fakten unterlegt und vernüftig analysiert werden“, sagt er. „Aber leider ist die Debatte häufig von Klischees geprägt.“

Im Innenministerium gilt Aslan als Schäuble-Mann, sein direkter Chef ist mit diesem ins Finanzministerium gewechselt. Über Schäubles Parteifreund und Nachfolger, Bundesinnenminister Thomas de Maizière, sagt Aslan nicht viel, über die eigenen Zukunftspläne will er nichts in der Zeitung lesen. Nur so viel wird klar: Aslan will langfristig in Berlin bleiben– oder nach Istanbul gehen. Dorthin ziehe es ohnehin viele junge, erfolgreiche Deutschtürken.

Davon spricht Aslan auch beim Treffen der „German-Israeli young Leaders“ im schicken Berliner Art’otel. Grund für die Sehnsucht nach der alten Heimat der Eltern sei auch „ein Gefühl der Zurückweisung in der neuen“. Dieses Gefühl dürfte Aslan selbst nicht häufig haben. Sieht man von St. Pauli einmal ab, musste er kaum Zurückweisungen einstecken. Damals hatte er mit seinem Auslandsstudium bereits einen Plan B für seine Zukunft in der Tasche. Das dürfte heute nicht anders sein.