Die Letzten ihrer Art

PULP Common People – Owen Hatherley im Gespräch in Berlin über Britpop und sein Buch „These Glory Days. Ein Essay über Pulp und Jarvis Cocker“

„These Glory Days“ erzählt von einer Musik, die es nicht mehr gibt – Britpop, so Owen, verkam bereits Mitte der Neunziger zu einem hohlen Stilbegriff

VON SOPHIE JUNG

Sie haben Kunsthochschulen besucht, staatliche Förderung erhalten und lebten in Sozialwohnungen, bis sie sich nur wenige Momente später in Fünfsternehotels wiederfanden. „Pulp“ aus dem englischen Sheffield ist eine von vielen Bands in den Neunzigern, die unter dem äußerst erfolgreichen Label „Britpop“ firmierten.

Ihre Bandmitglieder sind einige von vielen, die aus einem kreativen Urschlamm heruntergekommener Arbeiterstädte der Post-Thatcher-Ära hervorkamen. Ihre Musik sprach vom urbanen Alltag, Sex und Utopien aus den Kindheitstagen. Sie fügten dem eine einfach-schöne Songpoetik und simplen Rock hinzu, mit Verweisen auf die Siebziger – und trafen den Geschmack der Massen.

Aufstieg und Niedergang

„These Glory Days“, so heißt das Essay des Autors Owen Hatherley, das er am Freitagabend in der Berliner Buchhandlung Pro qm vorstellte. In einem Gespräch mit dem taz-Autor Christian Werthschulte sprach Owen vom Aufstieg und Niedergang der Band Pulp, die 1995 mit ihrem sozialkritischen Kommentar „Common Poeple“ einen Superhit in den Charts platzierte und mit „Bad Cover Version“ 2002 ein letztes gemeinsames Statement abgaben.

„These Glory Days“ erzählt von einer Musik, die es nicht mehr gibt. Britpop, so Owen, verkam bereits Mitte der Neunziger zu einem hohlen Stilbegriff. Blur oder Oasis seien bloße Adepten und „Möchtegernversteher“ gewesen. Die politische Kultur hat sich, so Owen, in den Neunzigern verändert. Die Sozialhilfe wurde gekürzt, die Allianz zwischen Kunstszene und der jungen Arbeiterklasse wurde gebrochen, und die Träume, aus denen die frühen Bands des Britpop hervorkamen, wurden von einem lähmenden politischen Realismus abgelöst. Pulp hingegen haben an Ablehnung, Groll und Kritik bis zum Schluss festgehalten.

Im Zentrum von Owens Publikation steht Pulps Bandleader und Sänger Jarvis Cocker. Mit dem Untertitel „Ein Essay über Pulp und Jarvis Cocker“ ist diesem linkischen und aufbegehrenden Intellektuellen, der sich mit seinem spindeldürren Körper zu einer Kunstfigur stilisierte, eigentlich Owens Buch gewidmet. Cocker kam selbst aus bitterarmen Verhältnissen. Seine Mutter war alleinerziehend. In seinen Texten reflektiert er, etwa im Song „My Legendary Girlfriend“, das Schicksal eines verlassenen Mädchens.

Es ist kein Zufall, dass Pulp aus Sheffield kommt. Sheffield, das sich von den Fünfzigern bis in die Siebziger einer modernistischen Stadtplanung verpflichtete, war während Cockers Kindheit ein Hort der Utopien. Doch seine Stahlindustrie ging bankrott, der Kommune das Geld aus und die Architektur einer brutalistischen Moderne verkam zu Ruinen. Pulp nutzten in diesem Moment des Zerfalls die Vorstellungswelt der Siebziger.

Wenn in ihren Videoclips, die Owen und Werthschulte an dem Abend vorstellten, die großen Sozialbausiedlungen Sheffields auftauchen oder die pubertierenden Fantasien von Teenie-Mädchen in dumpfen Neubauwohnungen erdichtet werden, dann war dies bei Pulp eine Referenz an den Utopien versprechenden Zeitgeist der siebziger Jahre, keine Nostalgie.

Mit dem Song „Bad Cover Version“ verabschiedete sich Pulp 2002 vom Britpop. Der dazugehörige Videoclip war der letzte Eroberungsversuch der Band. Darin treten Doppelgänger von Stars auf, Bowies, Björks, McCartneys – alle sind beim gemeinsamen Singen des Refrains vereint. Pulp, so Owens, sind die Letzten ihrer Art.

■ Owen Hatherley: „These Glory Days“. Edition Tiamat, 16 Euro