„Nach 20 Sekunden fix und fertig“

EINSAMER WOLF Ein Gespräch mit Benjamin Heisenberg, dem Regisseur von „Der Räuber“, über hohe Geschwindigkeiten und viele Drehorte

■ Geboren 1974 in Tübingen. Von 1993 bis 1999 studierte er Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste München. 1997 nahm er zusätzlich ein Regiestudium an der Hochschule für Fernsehen und Film München auf. Er ist Mitbegründer der Filmzeitschrift Revolver. 2003 schreibt er gemeinsam mit Christoph Hochhäusler das Drehbuch zu dessen Spielfilm „Milchwald“. 2005 dreht er sein Langfilmdebüt „Schläfer“. „Der Räuber“ ist sein zweiter Spielfilm.

INTERVIEW CRISTINA NORD

„Der Räuber“ bezieht sich auf einen fait divers aus dem Österreich der späten Achtzigerjahre. Damals sorgte ein Marathonläufer, der zugleich Bankräuber war, für Furore. Ein junger Mann namens Johann Kastenberger, im Volksmund als Pumpgun-Ronnie bekannt, zog sich eine Ronald-Reagan-Maske über, nahm sich eine Schrotflinte und raubte Raiffeisen-Banken und Sparkassen aus. Manchmal überfiel er zwei Banken an zwei aufeinanderfolgenden Tagen, einmal drei an einem einzigen Tag. Zwischendurch nahm er an Marathonläufen teil. Martin Prinz hat aus dem fait divers einen Roman gemacht; gemeinsam mit Benjamin Heisenberg hat er das Drehbuch für den Film geschrieben. Andreas Lust spielt den Protagonisten, der nun auf den Namen Johann Rettenberger hört. Premiere hatte „Der Räuber“ gestern Abend im Wettbewerbsprogramm der Berlinale.

taz: Herr Heisenberg, laufen Sie?

Benjamin Heisenberg: Nein. Ich habe überlegt, ob ich jetzt damit anfange, und bin in Wien ein paarmal um die Innenstadt gelaufen. Aber es ist dann doch an mangelnder Konsequenz gescheitert.

Was reizt Sie denn am Laufen?

Mich aus eigener Kraft fortzubewegen. Und die Selbstüberwindung. Beim Marathon kommt ja irgendwann dieser tote Punkt, über den man drüberlaufen muss. Der konfrontiert einen auf eine ganz spezielle Weise mit dem eigenen Willen. Es gibt einen geistigen, erkenntnistheoretischen Aspekt des Laufens, weil man sich einerseits durch die Landschaft und durch die Stadt bewegt und andererseits mit sich selbst als Sportkörper umgeht.

Den Protagonisten von „Der Räuber“, Johannes Rettenberger, sieht man sehr oft, während er läuft, weil er trainiert oder weil er nach einem Bankraub auf der Flucht ist. Ist es etwas Besonderes, jemanden beim Laufen zu filmen?

Auf jeden Fall, weil er sich ständig bewegt. Das heißt: Die Kamera kann entweder mitschwenken, ihn durchs Bild laufen lassen, oder sie bewegt sich mit ihm mit. Von diesem Moment an hat man eine Aufgabe. Und dadurch, dass unsere Hauptfigur so viel läuft, hatten wir viele Aufgaben.

Was meinen Sie mit Aufgabe?

Das Faszinosum darzustellen, das der Körper in Bewegung ausübt. Die Bewegung hat enorm viel mit dem Charakter der Figur zu tun. Die Kamera versucht sich für die Bewegung zu begeistern, durch Parallelfahrten, teilweise auch durch Vorweg- oder Hinterherfahrten, die den Räuber ganz nah und dann wieder in seiner Umgebung zeigen, so dass man ein Gefühl dafür bekommt, was für einen Raum er durchquert.

Das Laufen ist ein sehr einsamer Sport.

Ja. Es gibt zwar Leute, die das mit vielen anderen zusammen betreiben, aber die meisten Hochleistungssportler sind einsame Wölfe.

Sie haben eine Sequenz des Spielfilms in einer realen Situation gedreht, beim Wien-Marathon. Normalerweise gelten beim Filmdreh ja die Regeln der Filmproduktion. An einem realen Schauplatz ist das sicher anders, oder?

Das war eine der größten Herausforderungen. Denn wir waren an den minutengenauen Zeitplan dieses Laufes gebunden. Da wir die Handlung mitten im Spitzenfeld angelegt hatten, mussten wir auch mit den Spitzenläufern rechnen. Teilweise haben wir vor dem Feld gedreht, das heißt, wir sind vor denen auf die Strecke gegangen, so dass die Zuschauer schon da waren, wir aber nicht im Feld mitlaufen mussten. Teilweise sind wir auch im Feld mitgegangen, wir haben uns dann eine ausreichend große Lücke gesucht. Für den Andi (Andreas Lust, den Darsteller des Protagonisten) und die mitlaufenden Komparsen war das eine irre Herausforderung. Denn die Geschwindigkeiten sind enorm hoch. Ich hab das auf dem Laufband gelaufen, da ist man nach 20, 30 Sekunden fix und fertig.

Wenn ich an die Flucht eines Gangsters denke, fallen mir US-amerikanische Filme ein, weite Horizonte, endlose Straßen, Leere. Österreich ist ein kleines Land, alles wirkt eng, verbaut und zugestellt. Ich nehme an, Reinhold Vorschneider, der Kameramann, und Sie haben sich viele Gedanken darüber gemacht, wie man vor diesem spezifischen Hintergrund die Flucht des Räubers filmt.

Wir haben viel darüber geredet, was es bedeutet, jemanden zu filmen, der so viel läuft. Denn ein Nebeneffekt davon ist, dass man viele Orte durchschreitet. In einem normalen Film hält man sich eine Weile an einem Drehort auf, bei uns ist der innerhalb von zehn Sekunden abgefrühstückt. Wir hatten so viele Drehorte, es hat uns wahnsinnig gemacht. Beim Scouten bin ich relativ intuitiv vorgegangen, die Szenenbildnerin Renate Schmaderer und ich habe Orte gesucht, die ein Bild von Österreich vermitteln, das filmisch faszinierend und realistisch zugleich ist, so dass man das Gefühl hat: Das ist ein Raum, ein Mensch, ein Ort, den ich selbst auch kenne.

„Was mich gereizt hat, ist die Mischung aus der inneren Energie und dem Drang nach draußen“

Der Protagonist hat eine Freundin, Erika, ohne dass bis ins Letzte erklärt würde, welcher Art diese Beziehung ist. Zugleich ist er jemand, der einsam wirkt, sich zurückzieht, sich in sich verschließt. Hat Sie das an der Figur gereizt?

Na ja. Was mich gereizt hat, ist die Mischung aus der inneren Energie und dem Drang nach draußen. Da gibt es eine innere Person, die in einer Hülle steckt und nicht rauskommt, und die braucht unheimlich viel Energie, um sich selbst zu spüren. Wie eine Innenwand und eine Außenwand – die Innenwand muss sich strecken und weiten, bis sie die Außenwand wirklich spürt.

Was Sie sagen, klingt recht psychologisch. Dabei ist Psychologie doch ein rotes Tuch für viele Filmemacher der „Nouvelle vague allemande“.

Ich bin gar nicht so psychologiefern. Man bekommt den Charakter der Hauptfigur ja auch immer wieder psychologisch nahegebracht. Er äußert sich ab und zu im Film über sich selbst, andere Figuren, die ihn beobachten, äußern sich über ihn, und er handelt. Was mich am psychologisch motivierten Film stört, ist, dass oft eindeutige Gründe für das Handeln angegeben werden. Man arbeitet mit einem Ursache-Wirkungs-Prinzip, und das macht eine Figur oft eindimensional.

Die in sich verschlossene Figur ist ja auch ein Topos aus Gangsterfilmen. Tony Soprano, der Mafiaboss von New Jersey in der TV-Serie, sagt, dass er gerne so wäre: verschwiegen, verschlossen, unangreifbar. Aber er hat Panikattacken, muss zur Psychotherapeutin, und dort redet er viel. Entspricht Ihr Protagonist nicht einer überlebten Vorstellung von Gangstertum? Und einer überlebten Vorstellung von Männlichkeit?

Grundsätzlich kann man das so sehen und ihn als Vertreter dieses Topos von Männlichkeit wahrnehmen. Aber für mich hat es gar nicht so viel damit zu tun. Ich habe mich der Figur nicht aus dem Genre heraus genähert, sondern bin von dem tatsächlichen Menschen ausgegangen, von dem Sportler und Marathonläufer. Und der ist eben eine einsame Figur. Der Marathonläufer kämpft mit sich, 42 Kilometer lang, und sonst mit niemandem. Natürlich kann man sagen, das seien archaische Rollenverteilungen: Der Mann, der sich nie äußert. Aber diese Leute gibt es natürlich noch, und es wird sie auch in 100 Jahren noch geben.